Sozialistische Zeitung |
Die Initiative zu diesem Tribunal, dessen Vorbild das Russell-Tribunal in den 70er Jahren ist, kommt aus zwei Richtungen: Im Sommer
dieses Jahres hat die Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde (GBM) aus Ostberlin die Initiative für
ein Europäisches Tribunal ergriffen und bereiste zu diesem Zweck Ende Juli die Republik Jugoslawien, um Informationen aus erster
Hand zu sammeln. Sie konnte Kontakte zu ähnlich gesinnten Initiativen aus Tschechien, Polen, Bulgarien, Russland, Italien und
Griechenland knüpfen. In Jugoslawien traf sie auf Ramsey Clark und dessen US-amerikanisch-kanadische Initiative für ein
Internationales Tribunal. Die beiden vereinbarten Zusammenarbeit. Das Internationale Tribunal soll nun voraussichtlich im Mai 2000
stattfinden. Es will seine Arbeit auf Vorbereitungskomitees in den verschiedenen Ländern stützen. Sie sollen bis zum Mai eine
Anklageschrift erarbeiten. Es ist nicht daran gedacht, das Tribunal als Prozess durchzuführen, aber es soll mit einem Urteil beendet
werden.
Zur Konstituierung eines europäischen Vorbereitungskomitees wird
am 30.Oktober in Berlin ein Europäisches Hearing stattfinden, aus dem heraus ein Kuratorium und ein Arbeitskreis mit
Organisationsaufgaben gebildet werden soll.
Ein Konzept oder eine Plattform für das Tribunal liegt bisher nicht
vor. Aus der Tagesordnung des Hearings Ende Oktober ist jedoch zu entnehmen, wie sich zumindest der deutsche/europäische Teil der
Initiatoren die Stoßrichtung des Tribunals vorstellt. 14 Arbeitsgruppen werden schwerpunktmäßig über folgende
Themen beraten: Analyse der Politik der USA und die Neue Weltordnung; die Jugoslawienpolitik der BRD; Verletzung des Völkerrechts
durch die NATO; die Lage im Kosovo vor Kriegsbeginn und Methoden friedlicher Konfliktbeilegung; Schlussfolgerungen für ein neues
europäisches und weltweites Sicherheitssystem und die Rolle der OSZE. Politisch knüpft man an die Initiative die Hoffnung, die
Pro-NATO-Stimmung in der Bevölkerung kippen zu können.
Die US-amerikanische Seite, so ist von den deutschen Initiatoren zu
hören, wünscht eine etwas andere Zielsetzung, die stärker die "ideologische und moralische Seite" des Krieges
betont.
Im Mai dieses Jahres hatte ein Kreis französischer Intellektueller um den Soziologen Pierre Bourdieu einen europaweiten Aufruf
gegen den Krieg gestartet, der von einer Vielzahl von Intellektuellen, Gewerkschaftern und Friedensaktivisten aus mehreren, vorwiegend
westeuropäischen Ländern unterzeichnet worden war (siehe SoZ 9/99). Am 8.Mai gab es eine erste Konferenz in Paris, die zum
sofortigen Stop der Bombardierungen und zur Einberufung einer Balkankonferenz aufrief. Die Stoßrichtung der Initiative lautete
zusammengefasst so: Nein zur NATO reicht nicht. Es muss auch die Frage beantwortet werden, wer über regionale Konflikte entscheiden
soll. Dies erfordert u.a. eine Auseinandersetzung mit der Rolle der UNO.
Dieser Konferenz folgte nun am 2./3.Oktober eine zweite, die
schwerpunktmäßig folgende Themen diskutierte: die neue NATO-Strategie; welche EU wollen wir?; die Lage auf dem Balkan und
das Selbstbestimmungsrecht; Alternativen zur NATO-Intervention. An der Konferenz nahmen etwa 60 Personen aus Frankreich, Belgien,
Dänemark, der Schweiz, Italien und Spanien teil; Deutschland fehlte. Die vertretenen politischen Strömungen reichten von den KPs
(allerdings haben sie eine unterschiedliche Haltung: die französische KP arbeitet in dem Forum mit, die spanische lehnt es massiv ab),
linken Grünen bis zur revolutionären Linken und Unabhängigen.
Die Konferenz will zu zwei Schwerpunkten weiterarbeiten: sie will eine
Balkankonferenz von unten organisieren, und sie will eine Debatte über den "neuen Interventionismus" anregen. Auf der
Konferenz wurde auch ein Projekt von Ken Coates für eine europaweite Initiative vorgestellt und eine Zusammenarbeit beschlossen.
Weiterhin sollen die Arbeiten in eine Initiative für das Europäische Parlament münden.
Angela Klein