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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.21 vom 14.10.1999, Seite 14

Das Elend der Monokausalität

Bilanz der Antideutschen

Zehn Jahre nach der Wiederkunft des einen und wieder gerne weltmächtigen Deutschlands und den entsprechenden Feierlichkeiten hat sich mitten im Herzen der Bestie, in Berlin, auch die einzige und wahre Kraft der Negation versammelt: Anfang Oktober traf sich dort die Gemeinschaft der Antideutschen zum Kongress "Zehn Jahre später - eine antideutsche Bilanz". Eingeladen hatten die Redaktion Bahamas (Berlin), die Initiative Sozialistisches Forum (ISF) aus Freiburg und das Antinationale Plenum Detmold. ReferentInnen waren die bekannten, meist männlichen Größen der sich selbst Antideutsche nennenden Links-Strömung: Matthias Küntzel, Joachim Brun, Jürgen Elsässer, Heiner Möller, Uli Krug, Justus Wertmüller und andere.
Im Grunde sind es auch diese Chefideologen, die darüber entscheiden, wer sich zu den Antideutschen zählen darf. Ihre jeweiligen Entlarvungsschriften gegen immer neue Deserteure, die angeblich zu den Deutschland-Freunden überwechseln, drücken die einzige Bewegung im antideutschen Lager aus - der Rest verharrt immer weiter mit der fabelhaften Erkenntnis der antideutschen Plattform vom Mai 1995: "Wer sagt, radikal linke Politik könne derzeit etwas erreichen, hat sich die Gesellschaft bereits zurechtgelogen."
Weitgehend zweckfreie intellektuelle Freiübungen, bei der nur besonders schöne Salti und kuriose Verbiegungen beim Rest der Welt noch Eindruck hinterlassen - das wäre durchaus eine kurze und treffende Bilanz von zehn Jahren antideutscher Artikelflut. Auch der Kongress vom 1. und 2.Oktober in Berlin war vorrangig um den Streit mit neuen Abtrünnigen um die Zeitung Jungle World geprägt.
Die vom Kreis der Antideutschen Aus- oder Abgestoßenen haben höchstens noch die Chance, sich "der Linken" anzuschließen oder werden zwangsweise "der Linken" beigeordnet. Und "die Linke" ist der eigentliche Hauptfeind der Antideutschen. Auf dem Papier steht zwar Deutschland als erklärtes Kampfziel, aber da in ihrer Sicht die Herrschenden zu stark und unangreifbar sind, um in ihrer deutschnationalen Politik gestört zu werden, und die Beherrschten zu faul, satt und gleichgeschaltet sind, um ernsthaft angesprochen und aufgeklärt oder gar mobilisiert zu werden, so bleibt nur noch die sowieso arg gebeutelte "Linke", um das Mütchen zu kühlen.
Je nach Intensität solcher Sesselfurzerei bleibt dann eine schöne ewiggültige, wenn auch immer wieder neu herauszupupende Verschwörungstheorie zurück: "Die Linke" ist Erfüllungsgehilfe der deutschnationalen Politik, ist Teil des "demokratischen Verhängnisses" und das "demokratische Verhängnis" ist verhängnisvoll, weil es das wahre Ziel der deutschen Nation, die Fortsetzung des "Vor-1945-Sonderwegs" verschleiert.
Die Antideutschen sehen zehn Jahre nach ihrer Entstehung keinen Grund für Selbstkritik. Die deutsche Gefahr ist weiterhin der Hauptfeind in Europa. Der Krieg gegen die Republik Jugoslawien war eine ähnliche Zäsur wie der Fall der Berliner Mauer, er war ein durchgängig deutscher Krieg, von Deutschland verursacht und geführt und gegen kriegsdämpfende Versuche aus anderen imperialistischen Ländern durchgesetzt. Richtschnur ist eine seit hundert Jahren ohne Unterbrechung verfolgte politische Linie der völkischen Selbstbestimmung als Grundmuster der deutschen Vorherrschaftsstrategie.
Eine kleine Einschränkung wird zwar gegeben, aber dass die wirkliche Geschichte der "Theorie" partout nicht gehorchen will, scheint die Antideutschen nicht zu stören: "Nur verläuft nicht alles so spektakulär, wie die pathetische Formel vom ‚Meister aus Deutschland‘ es nahelegt. Kein neuer Faschismus bricht sich Bahn, noch nicht einmal ein krasser Bruch mit den Bonner Zuständen von vor 1989 ist zu verzeichnen, sondern die scheinbar unauffällige Transformation der formierten und doch nicht weniger pluralen Gesellschaft. Die scheinbare Harmlosigkeit und ‚Normalität‘ der großdeutschen Verhältnisse nehmen Linke zunehmend in gewohnter Skrupellosigkeit zum Anlass, die Rolle der konstruktiven Opposition zu besetzen."
Dass heute die offizielle Regierungspolitik "antinationalistisch" daherredet, dass die deutsche Regierung am stärksten supranationale Gremien fordert, ist alles ungebrochen nur Ideologie, hinter der in Wahrheit die völkische Blutsgemeinschaft und das großdeutsche Reich stehen. Und die Linke, wie z.B. die antinationalistische Dritte-Welt-Solidaritätsbewegung ist in Wahrheit der Thinktank der herrschenden Klasse.
Dabei gilt, "selbstverständlich sind Staatsbürgernationen wie Jugoslawien und Frankreich, Russland und die USA gegen den Ansturm der Blutsvölker zu verteidigen" (Jürgen Elsässer). Während die gesamte Welt "unter dem Wert vergesellschaftet" sei und insofern alle globalisiert und gleich sind, gibt es dennoch Unterschiede zwischen "Serben und Albanern, Deutschen und Franzosen" (Justus Wertmüller). Dies deshalb, weil "der Weltgeist spätestens 1919 gestorben (ist), als die Weltrevolution als tatsächliche Möglichkeit, ausgehend von den Metropolen, in denen sich das gesellschaftliche, ökonomische und theoretische Potenzial zur Zerstörung der kapitalistischen Vergesellschaftung zusammenballte, kläglich in sich zusammenbrach. Seither kommt es darauf an, zu retten, was an menschlichen und intellektuellen Potenzialen für den zweiten Versuch in Betracht kommt" (J.Wertmüller). Und diese Potenziale sind in Blutsvölkern, allen voran Deutschland, nicht mehr vorhanden. "Nicht, weil die Weltmarktverlierer Dummköpfe wären, sondern weil Reste von politischer Gesellschaft, die den totalen völkischen Zugriff auf den Einzelnen noch hindern, und Reste von Muße, ohne die Kritik nicht geübt werden kann, in den westlichen Demokratien noch vorhanden sind" (ebd.). Wir haben an diesem Quark wirklich nur die Anpassung an die Rechtschreibreform vollzogen, alles andere ist Originalton.
Deutschland ist Modell für alle Weltmarktverlierer, deshalb Bündnispartner "der Albaner" und gegen die noch etwas fortschrittlicheren "Serben" und "Franzosen". Die Sehnsucht nach monokausalen Erklärungen, einfachen Theoriegebäuden und die praktische Zuflucht zum angeblich speziellen Deutschtum der bürgerlichen Geschichte stürzt ihre AnhängerInnen wirklich ins Elend.
Die Antideutschen sind bei einer solchen Betrachtung eine kleine esoterische Versammlung. Gleichzeitig prägen sie aber die politische Ausrichtung der zwei auflagenstärksten Zeitungen und Zeitschriften der Linken in diesem Land, nämlich Konkret und Jungle World. Wie erklärt sich diese Aufmerksamkeit? Frisst hier der Teufel in der angeblich so theorielosen Not die berühmten Fliegen? Pilgern hier die Sensationslüsternen auf der Suche nach den oben erwähnten tollkühnen Salti und Verbiegungen - so wie die hunderttausenden Autofreaks zu Formel-1-Rennen wandern, nicht nur um einen deutschen Autofahrer in einem italienischen Auto auf japanischen Reifen (Achtung, Elsässer! mach doch mal ‘ne Analyse dieser Aktualität der alten Achsenmächte…) siegen zu sehen, sondern vor allem um schöne Crashs und fliegende Knochen zu erleben? Wir werden diese Fragen anlässlich des zwanzigsten Jubiläums der Antideutschen ausführlich beantworten.
Thies Gleiss
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