Sozialistische Zeitung |
Wir stehen in Prinzip am Anfang." Mit dieser Aussage traf Elvi Claßen von der Deutschen
Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegdienstgegnerInnen wohl am besten die Stimmung beim Seminar "Die Linke im Jahr Eins nach dem
Kosovo-Krieg", das Ende September in Bonn stattfand. Das Seminar war zustande gekommen auf Initiative des Bundeskongresses
entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO).
"Für die bundesdeutsche Linke war der Kosovo-Krieg ein
politisches Desaster", hieß es in der Einladung zum Seminar. Da brauche nur mal jemand Milo?sevi´c mit Hitler zu
vergleichen, und schon seien alle Faschismusanalysen vergessen. Insgesamt sei der Konsens über die Berechtigung des Militärs in
der Gesellschaft stark verankert, meinte denn auch Claßen bei ihrem Referat über "Medien und Krieg". Sie zeigte sich
entsetzt, daß drei viertel der PDS im Bundestag dem UN-Einsatz in Osttimor zugestimmt hatten. Paul Schäfer, Referent für
Abrüstungs- und Friedenspolitik bei der PDS-Bundestagsfraktion, der auf dem Seminar über die NATO referierte, verteidigte die
PDS: Der Frage, was in der konkreten Situation angesichts der Gewalt der proindonesischen Paramilitärs zu tun sei, müsse man
sich schon stellen. Da würden auch keine allgemeinen Hinweise auf Imperialismus oder Kolonialismus, so richtig sie auch sein
mögen, weiterhelfen.
Das blieb nicht unwidersprochen: Den Einsatz der australischen Truppen
zu fordern, und sei es unter UN-Label, sei das gleiche, wie den Einsatz des bundesdeutschen Kommando Spezialkräfte zu fordern, der
Eliteeinheit der Bundeswehr für Auslandseinsätze. Das könne doch nicht ernsthaft zur Debatte stehen.
Andere gingen ins Grundsätzlichere: der Versuch, die
Verhältnisse über die UN zu befrieden, sei doch gescheitert. Vielmehr hätten Teile der Linken Militäreinsätze
unter UN-Ticket anerkannt, um ihr Verhältnis zur NATO zu bereinigen. Wer einmal eine Entscheidung für eine UN-Intervention
fälle, fälle damit auch eine politische Entscheidung für Militärinterventionen. Und das müsse dann auch gesagt
werden.
Insgesamt überwog eine kritische Haltung zum UN-Einsatz in
Osttimor. Massaker seien unverzichtbarer Teil der kapitalistischen Weltordnung, und die Linke dürfe sich nicht auf die Frage einlassen,
wie diese Weltordnung in Teilen reguliert werden könne, formulierte ein Teilnehmer in Abgrenzung zu PDS und Grünen. Die
Friedensbewegung könne sich nur formieren und an Stärke gewinnen, wenn sie Herrschaft benenne und kritisiere, so seine
Argumentation.
Konsens gab es nur in der Ansicht, dass bei der Betrachtung von Kriegen
wieder mehr die Aufdeckung der Interessen und Strategien der kriegführenden Mächte in den Mittelpunkt gerückt werden
müsse. Der Kosovo-Krieg sei in der breiten Öffentlichkeit leider nur auf moralischer Ebene behandelt worden und als Krieg
für Menschenrechte dargestellt worden.
Die meisten TeilnehmerInnen konnten ein Lied von der Schwäche der
Antikriegsbewegung im Sommer diesen Jahres singen. Dabei war allen noch der breite Protest gegen den Golfkrieg vor Augen. Warum, so die
Frage, ist aus der Bewegung gegen den Golfkrieg, die auch als Zusammengehen von Friedens- und Dritte-Welt-Bewegung verstanden werden
kann, nicht die nötige und naheliegende Konsequenz gezogen worden? Krieg für Öl, Industrieländer gegen die Dritte
Welt - das hätte doch weitergedacht werden können.
Statt dessen stürzten sich Teile der Linken im Bosnien-Krieg auf das
Selbstbestimmungsrecht der Völker. Doch diese Forderung wurde beim BUKO-Seminar als problematisch eingeschätzt, gerade im
Hinblick auf die deutsche Volksgruppenpolitik in Osteuropa. Denn die Forderung nach Selbstbestimmungsrecht für
"Völker" bedeute dort nichts anderes als ganz Osteuropa in Kleinstaaten aufzuteilen. Das Selbstbestimmungsrecht der
Völker sei auch keine originär linke Forderung, bemerkte ein Seminarteilnehmer. Auch US-Präsident Wilson habe die
Forderung 1918 in seinem 14-Punkte-Plan gehabt. Da müsse schon im konkreten Fall genau hingeschaut werden, wer unterstützt
werden soll.
An der Verhaftung Pinochets schieden sich die Geister: "Eine
Solidaritätslinke, die bei der Festsetzung Pinochets in England Beifall klatscht, das hat die Linke als eigenständige Kraft
ausgelöscht", hieß es in einem Positionspapier. Sätze wie dieser, stellte sich schnell heraus, bedürfen zumindest
der Erläuterung: Es sei ja nichts ungewöhnliches, daß Diktatoren von ihren Schutzmächten fallengelassen werden. Mit
Pinochets Verhaftung sollte demonstriert werden, dass sich der Westen jetzt um Menschenrechte kümmert. Insofern erkenne die Linke
auch Staaten samt Regierungen als Vertreter der Menschenrechte an, wenn sie bei der Verhaftung Beifall klatsche. "Imperialistische
Intervention bleibt imperialistische Intervention."
Eine im Seminar nicht ungeteilte Position. Auf ein universalistisches
Verständnis von Menschenrechten wollten einige doch bestehen, auch wenn sie die Durchsetzung von Menschenrechten am wenigsten
imperialistischen Staaten zutrauten. Und wer freut sich nicht über die Verhaftung von Pinochet? Ist es nicht gerade auch als Prinzip
gutzuheißen, wenn Diktatoren wie Pinochet vor Gericht gestellt werden? Die Lösung des Problems war schnell gefunden: ein
weiteres Seminar zum Thema Menschenrechte, das nächstes Jahr stattfinden soll.
Dirk Eckert
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