Sozialistische Zeitung |
Der Film beginnt in der Gegenwart. Der deutsche Diplomat Wieck möchte seinen 80.Geburtstag im
Restaurant Szabó in Budapest feiern, mit dem er einige Erinnerungen verbindet. Nach dem festlichen Mahl, bei dem es die Spezialität des
Hauses - "Rollfleisch" - gibt, bricht Wieck tot zusammen.
Rückblende: Budapest 1935. Der Restaurantbesitzer László
Szabó und seine Geliebte Ilona suchen einen neuen Pianisten für ihr Lokal. Die Wahl fällt auf András Aradi, einen bisher
erfolglosen Komponisten. Zwischen László, András und Ilona entwickelt sich eine Dreiecksbeziehung, deren spezielle
Problematik László gegenüber Ilona in folgendem Satz zusammenfasst: "Du hast zwei Männer und wir jeder nur eine
halbe Frau." So ist die Beziehung nicht ganz spannungsfrei aber doch glücklich.
In diese ménage à trois platzt der deutsche Jungunternehmer
Hans Eberhard Wieck. Dessen gerade gegründetes Unternehmen wächst - wie so viele deutsche Unternehmen - mit dem
"3.Reich". Es wird aber nicht - auch darin durchaus repräsentativ - mit diesem untergehen. Auch er veliebt sich in Ilona, wird
aber abgewiesen. Er kehrt nach Deutschland zurück, um dort seine Firma und als SS-Offizier das "Großdeutsche Reich"
aufzubauen. In seiner letzten Funktion kehrt er einige Jahre später nach Ungarn zurück, das unter dem reaktionären Horthy-
Regime mit Nazi-Deutschland verbündet, de facto aber eher ein Protektorat ist. Dort ist er mit der Organisation der
"Endlösung" betraut, sein Freund László Szabó aber ist Jude…
Leitmotiv des Films ist das "Lied vom traurigen Sonntag", das
unter seinem englischen Titel "Gloomy Sunday" berühmt geworden ist. Im Film ist András Andradi der Komponist
des Liedes. Tatsächlich ist das Lied 1935 in einem Budapester Restaurant entstanden, der Komponist war Rezsö Seress. Das
traurig-schöne Lied, das heute noch von Stars wie Sinéad OConnor und Heather Nova zum Besten gegeben wird, erlangte
in den 30er Jahren traurige Berühmtheit, weil sich zu seinen Klängen viele frustrierte Angehörige der jeunesse dorée
in aller Welt das Leben nahmen.
Der Film hat mehrere Ebenen: eine erotische, eine makaber-humorvolle,
eine kriminalistische und eine politische. Die Dreiecksbeziehung, die durch Wieck zur Vierecksbeziehung wird, hat eindeutig Ilona als
Mittelpunkt. Sie entscheidet sich für keinen und hält so die Angelegenheit im Gleichgewicht. László und András
akzeptieren das, Wieck nicht. Letztlich verursacht er den Tod der beiden anderen, zeugt mit Ilona ein Kind, ohne sie zu bekommen und am Ende
stirbt er selbst.
Der Darstellung der Selbstmorde, die zu den Klängen des
"Lieds vom traurigen Sonntag" begangen werden, wird allen Freunden des sanften schwarzen Humors erfreuen. Auch László
erweist sich als Meister des Galgenhumors, besonders in brenzligen Situationen.
Als Krimi kommt der Film besonders bei den Umständen daher, die
zu Wiecks Tod führen. Scheinbar stirbt er am Herzinfarkt, tatsächlich wird er aber das Opfer einer späten und gerechten
Vergeltung entsprechend dem von ihm selbst mehrmals verkündeten Motto "Auge um Auge, Zahn um Zahn".
Eine direkte politische Botschaft enthält der Film nicht. Die
politische Atmosphäre des reaktionären Horthy-Ungarns, das sich in den späten 30er Jahren zunehmend in Richtung
Faschismus entwickelt, wird nur angedeutet. Der heraufziehende Faschismus hängt aber wie eine drohende Wolke über den drei
Protagonisten des Films und letztlich werden sie ihm alle auf unterschiedliche Art und Weise zum Opfer fallen. Wieck, der sich während
des Krieges als Vertreter der "Banalität des Bösen" erweist, macht nach dem Krieg eine typisch bundesdeutsche
Karriere. Er wird erfolgreicher Konzernchef, hochrangiger Diplomat und seine Nazi-Vergangenheit wird nicht nur vergessen, er wird sogar
zum Widerstandskämpfer umgelogen, weil er einigen Juden gegen gute Bezahlung zur Flucht verholfen hat.
Ein Lied von Liebe und Tod - Gloomy Sunday gehört ähnlich
wie Erklärt Pereira zu jenen Filmen, die ohne politisches Pathos und ohne erhobenen moralischen Zeigefinger leise, dafür aber um
so eindringlicher, vom letztlichen Sieg der Menschlichkeit über die Barbarei erzählen.
Andreas Bodden