Sozialistische Zeitung |
Kurz nacheinander kamen in der letzten Woche die Meldungen, dass die Belegschaft von Alcatel in Berlin die
Betriebsbesetzung beendet hat und die Belegschaft der Hoesch Spundwand und Profil (HSP) in Dortmund in einen unbefristeten Streik getreten
ist, um ihre Arbeitsplätze zu retten. Während in Berlin die Schließung des Werks nach sechs Wochen Besetzung doch nicht zu
verhindern war, sollen die Entscheidungen in Dortmund in dieser Woche fallen: Verkauf an Salzgitter oder nicht. In Berlin ging die
Besetzungsaktion mit einem Ergebnis zu Ende, das von den Beschäftigten als Erfolg gesehen wird.
Mehrheitlich waren die Kollegen allerdings der Ansicht, die
Arbeitsplätze seien nur zu retten, wenn der Konzern durch weitere - z.B. internationale - Aktionen zur Rücknahme der Entscheidung
gezwungen wird. Und viele waren wohl nicht mehr bereit, länger unter Regie dieses Konzerns zu schuften. Der Preis sollte dennoch hoch
getrieben werden, um auch Belegschaften anderer Konzernen das Signal zu geben, dass Arbeitsplatzvernichtung nicht länger
widerstandslos hingenommen werden kann.
Es fällt natürlich auf, dass der Kompromiss zu Beginn der
Woche erzielt wurde, als in mehreren Alcatelwerken Solidaritätsstreiks stattfinden sollten. Aber der kleinen Belegschaft gelang es, sehr
viel Solidarität zu organisieren und Sympathien zu gewinnen.
Ähnliches trifft auf die KollegInnen von HSP zu, die im Sommer mit
ihren laufenden Aktionen nicht nur die Öffentlichkeit einbezogen, sondern auch erreichten, dass Konzernvertreter signalisierten, die
Interessen der Belegschaft beim Verkauf zu berücksichtigen.
Als von der Geschäftsleitung aber Gespräche mit der Salzgitter
AG, die die Weiterführung der Produktion und Investitionen zugesagt haben soll, abgebrochen wurden, fühlte sich die Belegschaft
von HSP massiv getäuscht. Eine Belegschaftsversammlung gab grünes Licht für unbefristeten und im Prinzip natürlich
unbezahlten Streik. Die "Räder stehen still", hieß es im Flugblatt des Betriebsrats. Und "die Arbeit bei HSP ruht,
solange bis eine positive Antwort für unsere Arbeitsplätze aus Düsseldorf kommt". Auch hier gelang es der
Belegschaft, Solidarität in der Stadt und darüber hinaus zu organisieren, sogar der Oberbürgermeister rief zu Spenden auf
(siehe SoZ 21/99).
Während die verhältnismäßig kleine Alcatel-
Belegschaft und die 670 betroffenen Hoeschianer kämpferisch eine drohende Arbeitsplatzvernichtung angehen, werden im Ruhrgebiet bei
der Ankündigung weiterer Zechenstilllegungen und der Vernichtung von 7000 zusätzlichen Arbeitsplätzen in Neukirchen-
Vluyn, Dortmund und Recklinghausen keine vergleichbaren Reaktionen bekannt. "Ruhe herrscht auf den Anlagen", leitet die IG
Bergbau Chemie Energie (IGBCE) ihre Pressemitteilung nach den Sonderbelegschaftsversammlungen vom letzten Mittwoch ein.
Dabei ballen die Kumpel die Fäuste in der Tasche: Erneut sind es
die RAG, also die frühere Ruhrkohle AG, und die Deutsche Steinkohlen AG, die die Beschlüsse von 1997 überziehen und
vorzeitig Stilllegungen bekanntgeben, die eigentlich erst zum Jahre 2005 erfolgen sollten. Wohlgemerkt: diese Beschlüsse waren vor dem
Hintergrund tagelanger Aktionen der Kumpel im März 1997 gefasst worden, als die Bergleute politische Subventionszusagen erwirkt
hatten, die nun nicht eingehalten werden.
Vielleicht könnte der Funke aus Dortmund doch noch einen
größeren Kampf zum Erhalt der Arbeitsplätze auslösen: Immerhin kamen die streikenden Hoesch-Kollegen zur
Belegschaftsversammlung der im nächsten Jahr zur Stilllegung anstehenden Kokerei Kaiserstuhl, um Solidarität zu bekunden und
ein Beispiel zu geben.
Die Widersprüchlichkeit der realen Arbeiterbewegung veranlasst
manchen, von einem Auslaufmodell zu sprechen und den Kampf um Arbeitsplätze gleich zusammen mit der SPD-Parole "Arbeit,
Arbeit, Arbeit" zu beerdigen. Die kurzfristigen, kompromissbehafteten oder nur einige Kernbelegschaften umfassenden Erfolge dieses
Kampfes weisen aber in eine andere Richtung - ganz zu schweigen von den oft gar nicht geführten Kämpfen.
Solange breite Bevölkerungsschichten vom Verkauf der Arbeitskraft
leben müssen, und die Linke ihnen womöglich nur ein fernes oder nebulöses "anderes System" oder
"radikales Kämpfen" vorzuschlagen hat, muss jeder Schritt wirklicher Bewegung und jede Maßnahme
eigenständigen und widerständigen Verhaltens wie nun in Berlin und Dortmund unterstützt und gefördert werden.
Welcher Hohn, wenn nun wieder als erstes nach Ersatzarbeitsplätzen,
die in Berlin oder im Revier zu schaffen wären, gerufen wird! Welcher Hohn, wenn die Arbeitsplätze der kommenden
Dienstleistungsgesellschaft den kämpfenden KollegInnen, aber auch den nicht kämpfenden, als Alternative zu denen der
industriellen Produktion hingestellt werden!
Gerade diese Belegschaften haben aus Erfahrung mit solchen
Versprechungen und in Kenntnis der von Banken, öffentlichem Dienst oder Energieversorgung beschlossenen Stellenvernichtungen keine
andere Wahl, als erst mal die vorhandenen Arbeitsplätze zu verteidigen!
Schon eine erkämpfte Verzögerung um mehrere Jahre
wäre ein Erfolg. Das wissen auch die Bergleute, die den Arbeitsmarkt im Ruhrgebiet kennen. Dass die IGBCE immer noch nichts anderes
weiß, als die Globalisierungsstrategie der RAG zu verteidigen und die Stilllegungen als unvermeidlich hinzunehmen, ist der eigentliche
Skandal. Dagegen sprechen nicht nur kämpferische Erfolge in der Geschichte der Bergleute und ihrer Gewerkschaft selber, sondern vor
allem solche Beispiele wie die der KollegInnen von Alcatel und HSP.
Adam Reuleaux