Sozialistische Zeitung |
Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf hat Schwierigkeiten mit dem Problem der sozialen
Gerechtigkeit. Er kann nicht begreifen, wieso unterschiedliche Arbeitseinkommen in Ost und West ungerecht sein sollen. Schließlich
gebe es dieselben Unterschiede doch auch zwischen Bayern und Schleswig-Holstein bspw. Außerdem sei der Sozialhaushalt mit 30% der
größte Posten im Bundeshaushalt. Dass "Leistungsträger" mehr bekommen als andere, sei doch schon allein
darum gerecht, weil sie sonst in andere Länder der EU abwandern würden.
Vielleicht öffnen ihm die Ergebnisse einer Armutsstudie des
katholischen Caritas-Verbands die Augen. Die stellt fest, dass es in Deutschland "ein drastisches Gefälle zwischen arm und
reich" gibt:
- Mehr als 7 Millionen Menschen (8,7%), darunter 1 Million
Minderjährige, gehören zu dem "sich verfestigenden Sockel einer Armutsbevölkerung". Sie haben weniger als
924 Mark monatlich zur Verfügung.
- Ein weiteres Viertel (20 Millionen Menschen) lebt in
"prekärem Wohlstand". Unvorhergesehene Ereignisse wie Arbeitslosigkeit oder Krankheit können sie jederzeit unter
die Armutsgrenze geraten lassen.
- Ein Drittel der Bevölkerung lebt somit in "existenzieller
Unsicherheit, wirtschaftlicher Sorge und mangelnder Daseinsvorsorge".
- Im Westen gehört den unteren 30% aller Haushalte nicht einmal ein
Hundertstel des Gesamtvermögens (an Geldguthaben und Immobilien) von knapp 7,2 Billionen Mark. Die oberen 10% hingegen
verfügen über zwei Fünftel (41%) aller Vermögen.
- In Geld umgerechnet hat das untere Zehntel aller Haushalte einen
"mehr oder weniger großen Schuldenberg". Dagegen verfügt das obere Zehntel der Haushalte über
Vermögen von jeweils mehr als einer Million.
- In Ostdeutschland ist der Unterschied noch viel drastischer. Denn 20%
haben drei Viertel aller Vermögen, die anderen 80% den Rest und zugleich einen Schuldenberg von 1,6 Milliarden Mark.
- Zu denen, die nicht als "Leistungsträger"
Millionäre wurden, gehören EmpfängerInnen von Sozialhilfe. Ihnen wird vorgeworfen, sie nähmen "ihnen nicht
zustehende Leistungen in Anspruch". Laut Statistik sind dies jedoch nur 7,4%, die dem Sozialhaushalt einen Schaden von 283 Millionen
Mark verursachen.
- An den verschämten Armen, die keine Sozialhilfe in Anspruch
nehmen, obwohl sie ihnen zusteht, spart der Sozialhaushalt 4,5 Milliarden Mark.
- Der Steuermissbrauch von "Leistungsträgern", die zu
Millionären wurden, führt zu Verlusten von 140 Milliarden Mark im Bundeshaushalt!
Der Präsident des Deutschen Caritas-Verbands, Hellmut Puschmann,
fragte, ob Arme ein unvermeidliches Überbleibsel am Rand der Grobaustelle Deutschland seien.
Vielleicht lässt sich Sachsens Ministerpräsident je wenigstens
durch eine Untersuchung des Allensbacher Instituts für Meinungsforschung davon überzeugen, dass "soziale
Gerechtigkeit" im Bewusstsein von Menschen einen wachsenden Stellenwert hat. Seit den 70er Jahren wollen die Allensbacher in
regelmäßigen Umfragen herausfinden, welcher von zwei Werten in der Bevölkerung das größere Gewicht hat.
Sie fragen:
"Was hat Priorität, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit, oder
Freiheit?" Die letzten Ergebnisse sprechen für sich: "Während zur Zeit der Wiedervereinigung Freiheit höher
eingeschätzt wurde, legen seit Mitte der 90er Jahre immer mehr Menschen Wert auf Gleichheit und soziale Gerechtigkeit.
Im Jahr 1990 räumten 65% aller Deutschen der Freiheit den Vorrang
ein. Nur 25% bevorzugten Gleichheit und soziale Gerechtigkeit. Im Jahr 1999 gaben nur noch 46% der Befragten der Freiheit den Vorrang.
Aber 40% meinten, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit seien wichtiger.
Besonders peinlich für Kurt Biedenkopf, der nicht begreifen kann,
wieso Unterschiede zwischen Ost und West ungerecht sein sollen: Im Osten war 1999 bereits eine satte Mehrheit von 57% der Ansicht, dass
Gleichheit und soziale Gerechtigkeit wichtiger sind, nur noch 29% räumten der Freiheit den Vorrang ein. Das dürfte zum Teil auch
den Unterschied in den Wahlergebnissen erklären und den besonderen Erfolg der PDS mit der Losung nach "sozialer
Gerechtigkeit".
Jakob Moneta
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