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EU und USA scheinen im Vorfeld der Jahrtausendrunde der Welthandelsorganisation (WTO) im offenen Clinch
zu liegen. Auf ihrem informellen Treffen in Florenz bezeichneten die europäischen Handelsminister die Position der USA als
"undurchsichtig" und kündigen an, sich im Vorfeld von Seattle auf die Entwicklungsländer konzentrieren zu wollen,
"auch wenn sie keine homogene Gruppe bilden". Auf diesem Wege wollen sie möglichst viele Unterstützer für
die eigene Verhandlungsposition zu finden. Die "Financial Times" berichtet fast täglich über Politiker aus beiden
Lagern, die entweder eine "Offensive" ankündigen oder aber versuchen, die Wellen zu glätten.
Mittlerweile melden sich auch die Wirtschaftsbosse zu Wort.
Jérome Monod, der Europa-Vorsitzende des einflussreichen Transatlantic Business Dialogue (TABD) befürchtet, dass der
Streitigkeiten zwischen EU und USA in einen "politischen Handelskrieg degenerieren" könnten. Am letzten Oktoberwochende
wird sich herausstellen, ob die 120 Konzerne des TABD seine Befürchtungen teilen. Sie wollen sich in Berlin treffen, um ihre Positionen
für die WTO-Verhandlungsrunde ohne große Umwege direkt an die entsprechenden Politiker weiterzugeben. Obwohl sie bisher
jede Gelegenheit genutzt haben, den Entscheidungsträgern ihre Vorstellungen in die Feder zu diktieren, richten sie abermals ihre
Forderungen an die Handelsbeauftragten der EU und USA sowie an den WTO-Generaldirektor Mike Moore und Bundeskanzler Gerhard
Schröder, die an dem Treffen teilnehmen werden.
Nach der Verabschiedung des EU-Verhandlungsmandats auf dem Treffen
der Aussen- und Handelsminister am 11.Oktober sind die Positionen der EU-Kommission für die kommende Jahrtausendrunde zu
"95%" festgezurrt, erklärte der finnische Ratsvorsitzende. Hauptanliegen der EU ist eine möglichst umfassende
Tagesordnung für eine breit angelegte Verhandlungsrunde im US-amerikanischen Seattle.
Nur in zwei Punkten sind sich die EU-Mitglieder noch nicht einig: Die
deutsche Bundesregierung ist mit Forderungen aus dem Gewerkschaftslager konfrontiert und will sich, mit Unterstützung von Schweden,
Dänemark und Frankreich, für eine permanente Arbeitsgruppe zwischen der WTO und der Internationalen Arbeitsorganisation ILO
einsetzen. Die soll das Spannungsfeld zwischen Globalisierung und Sozialstandards behandeln, z.B. Kinder- und Sklavenarbeit,
Gewerkschafts- und Tarifrechte. Vor allem Großbritannien und die Niederlande widersetzen sich dem Anliegen, das ihrer Meinung nach
die Bereitschaft von Entwicklungsländern mindern würde, ihrerseits weitere Bereiche zu liberalisieren. Denn viele
Entwicklungsländer befürchten, dass mit Umwelt- und Sozialstandards ein verkappter Protektionismus der reichen Länder
einhergehen wird.
Die französische Regierung will das Recht auf "kulturelle
Vielfalt" in den WTO-Regeln verankert wissen. Mehr oder weniger Unterstützung erhält sie durch Deutschland, Belgien,
Spanien und Irland. Größte Vorbehalte hegen die französischen Vertreter gegenüber US-amerikanischen Billigimporten
aus der Film- und Musikbranche. Vor etwas mehr als einem Jahr trug diese Haltung maßgeblich zum Scheitern des Multilateralen
Investitionsschutzabkommens (MAI) bei.
Im Mai 1998 hatte die WTO-Ministertagung in Genf alle Mitglieder
aufgefordert, Empfehlungen an die in Seattle tagenden Minister im Hinblick auf Umfang, Modalitäten und Fristen für die
künftigen Verhandlungen vorzubereiten. Vor allem die EU war von Beginn an die wichtigste Befürworterin für die
Einberufung einer neuen Verhandlungsrunde, die einen Zeitraum von drei Jahren umfassen soll. Die Themenpalette beinhaltet weitere
Liberalisierungen in den Bereichen Agrar und Dienstleistungen, die durch die Uruguay-Runde (den Gründungsverhandlungen der WTO)
bereits vorgegeben sind. Darüber hinaus strebt die EU den Abbau von Zöllen und anderen, sog. "technischen
Handelshemmnissen" bei Nichtagrarprodukten an, will die bestehenden WTO-Regeln zum öffentlichen Auftragswesen erweitern,
einen rechtlichen Rahmen für die Bereiche Investitionen und Wettbewerb schaffen, den Schutz für das geistige Eigentum ausbauen
und Umweltaspekte in die WTO-Regeln integrieren.
Reisediplomatie
Auch wenn weitgehend Einigung erzielt werden konnte - die Differenzen innerhalb der EU liegen dem zuständigen
Handelskommissar Pascal Lamy und dem Kommissionspräsidenten Romano Prodi auf dem Magen. Beide reisen in die USA, um dort
Gespräche mit dem Präsidenten, der Außenhandelsministerin und anderen Handelsbevollmächtigten zu führen.
Nach Ansicht des Franzosen Lamy, der bereits am 13.Oktober zu Gesprächen in die USA eilte, sei es wenig überzeugend, wenn
sich die Union einerseits ausdrücklich einen "umfassenden Ansatz" für die kommenden WTO-Verhandlungen
angekündigt habe, einzelne Mitgliedstaaten nun aber Sonderwünsche vorbringen. Lamy kritisierte die Haltung der Regierung in
Washington, die an die Verhandlungen mit einer "zu engen" Agenda herangehe. Die USA wollen sich zunächst auf den Agrar-
und Dienstleistungssektor konzentrieren, um dort schnelle Ergebnisse zu erzielen. Auch liegt ihnen wenig an einem "Gesamtpaket",
Washington bevorzugt "sektorielle" Liberalisierungsverhandlungen, d.h. sie wollen die einzelnen Bereiche weitgehend
unabhängig voneinander unter Dach und Fach bringen.
Prodi, der sich Ende Oktober mit Bill Clinton zu gemeinsamen
Gesprächen trifft, will keinen unsicheren Eindruck machen. Er kündigte an, dass die EU in Seattle mit "einer Haltung und
einer Stimme" präsent sein werde. Der Kommissionspräsident ist davon überzeugt, dass die
"Übereinstimmugen in der EU schwerer wiegen als ihre Differenzen". Nach Ansicht der Financial Times spiegelt die
Initiative Prodis seine Befürchtungen wider, dass Differenzen zwischen den USA und der EU das "globale Handelssystem
schwächen könnten".
Der breite Verhandlungsansatz wird mittlerweile von Japan, Korea,
Mexiko, der Schweiz und osteuropäischen Staaten unterstützt. Ein in der vorletzten Woche von Handelskommissar Lamy
unterbreitetes Papier unterstellt, die EU könne mit ihrem Ansatz eine "Führungsrolle" bei den kommenden WTO-
Verhandlungen einnehmen.
Ziemlich allein auf weiter Flur steht die EU jedoch mit ihren internen
Unterstützungsmaßnahmen für die Landwirtschaft. Direktzahlungen im Rahmen von produktionseinschränkenden
Maßnahmen (z.B. zeitweise Flächenstilllegungen) müssen nach bisherigen WTO-Regeln nicht gekürzt werden und
unterliegen bis 2003 einer "Friedensklausel". Da auch die auf dem Berliner EU-Gipfel in März verabschiedete "Agenda
2000" diese Zahlungen weiter vorsieht, will sich die Gemeinschaft für eine Verlängerung der Friedenspflicht einsetzen.
Auch die Exportsubventionen für Agrarprodukte dürften seitens
der USA und der Cairns-Gruppe (Gruppe der agrarexportierenden Länder von Argentinien bis Neuseeland) unter erheblichen Druck
geraten. Die europäischen Agrarminister kündigten bereits an, sie wären zu Verhandlungen über eine Senkung der
Ausfuhrsubventionen bereit, wenn im Gegenzug alle Stützungsmaßnahmen, darunter auch Ausfuhrkredite und Nahrungsmittelhilfen,
gleich behandelt würden.
Ein weiterer Streitpunkt sind die künftigen Ausfuhrbestimmungen
für genetisch manipulierte Lebensmittel. Vor allem in den USA setzen große Unternehmen wie Monsanto und Novartis auf
manipuliertes Saatgut, für den Anbau von Mais, Weizen und Soja. Die US-Regierung legt deshalb nicht nur großen Wert auf die
gegenseitige Anerkennung von gentechnischen Patenten, sie will auch keine Grenzen für den Handel mit Genfood akzeptieren. In der EU
und in Japan häufen sich jedoch gesundheitliche Bedenken, Forderungen nach Konsumentenschutz kommen auch Politikern leicht
über die Lippen. EU-Kommissionpräsident Prodi will deshalb bei den kommenden Gesprächen Clinton klarmachen, dass die
Europäer bei der Frage genetisch veränderter Lebensmittel auf ihrer Position "beharren" werden.
Gerhard Klas
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