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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.22 vom 28.10.1999, Seite 13

Pakistan

Das Militär übernimmt die Macht

Am Abend des 12.Oktober besetzte das Militär die wichtigsten Gebäude in Pakistans Hauptstadt Islamabad, nachdem Ministerpräsident Nawaz Sharif die Entlassung General Mussarafs verkündet hatte. Der Ministerpräsident und sein Bruder wurden in "Schutzhaft" genommen.
In seiner ersten Ansprache an die Nation sprach Armeechef General Pervaiz Musharf nicht vom Kriegsrecht und er kündigte auch keine Übergangsmaßnahmen an. Er sagte, dass sich jeder des Chaos und der Unsicherheit bewusst sei, die das Land in den letzten Jahren durchgemacht habe: "Nicht nur dass mit allen Institutionen leichtfertig umgegangen wurde und sie zerstört worden sind, auch die Wirtschaft bricht zusammen. Trotz meiner Ermahnung versuchten sie sich in die Streitkräfte einzumischen, die letzte funktionierende Einrichtung, auf die ihr alle so stolz seid und die ihr jederzeit als Bewahrerin von Stabilität, Einheit und Integrität unseres geliebten Landes betrachtet."
Das ist die übliche Demagogie eines militärischen Führers. Doch General Musharf hat das Kriegsrecht noch nicht ausgerufen. Der Militärputsch wurde offensichtlich durch die Ankündigung der Entlassung des Generals provoziert. Nur eine Woche früher hatte die Regierung Sharif den General zum Chef des Generalstabs ernannt. Der General hatte diesen daraufhin von einigen höheren Offizieren gesäubert, die als Anhänger von Nawaz Sharif galten. Im Gegenzug versuchte der Ministerpräsident den General zu entlassen.
Dies war der unmittelbare Vorwand für den Staatsstreich. Doch die Hauptgründe sind zutiefst verbunden mit der gegenwärtigen Wirtschaftskrise und ihren politischen Auswirkungen. Der Putsch ist Teil der Nachwehen der Zusammenstöße mit Indien in Kargil um die Kaschmir-Frage. Die Regierung Sharif machte Armeeführer für die Niederlage Pakistans verantwortlich.
Um bessere Bedingungen für die Pakistan vom Internationalen Währungsfonds (IWF) gewährten Kredite zu erhalten, beschuldigte die Regierung Sharif jüngst die Regierung der Taliban in Afghanistan "terroristische Aktivitäten" in Pakistan zu unterstützen. Dies war eine überraschende 180-Grad- Wende, denn Pakistan ist das einzige Land in der Welt, das das Regime der Taliban in Afghanistan offiziell anerkannt hatte. Es hatte die Taliban bei der Einnahme Kabuls und anderer Teile Afghanistans aktiv unterstützt. Sharifs plötzliche Feindseligkeit gegen das Regime in Kabul wurde von den verschiedenen religiösen Strömungen in der Armee nicht geschätzt.
Die Wirtschaft liegt völlig danieder. Der Versuch der Regierung, eine allgemeine Verkaufssteuer einzuführen, wurde vom Verband der Kleinhändler mit einem landesweiten Streik am 4.September vereitelt. Angesichts dieser Proteste ignorierte die Regierung die Auflagen des IWF, zog die Verkaufssteuer zurück und führte eine neue Steuer ein.
Außerdem organisierten Baumwollpflanzer Massendemonstrationen für eine Erhöhung der garantierten Baumwollpreise. Diese Erhöhung wurde vom mächtigen Verband der pakistanischen Textilunternehmer abgelehnt. Baumwolle macht 70% der pakistanischen Exporte aus. Das Land produziert ein Zehntel der Baumwolle der Welt. Am 10.Oktober blockierte ein landesweiter Protest der Bauern und Baumwollpflanzer für mehrere Stunden alle wichtigen Verkehrsstraßen Pakistans.
Diese Entwicklungen enthüllen die extreme Unpopularität der Regierung Sharif und den dramatischen Rückgang der Unterstützung für den Ministerpräsidenten in der Bevölkerung. Anfang 1997 hatte Sharif die Parlamentswahlen mit 40% der Stimmen und 65% der Sitze in der Nationalversammlung gewonnen. Die Regierung benutzte ihre Mehrheit, um verfassungsmäßige Garantien für gewerkschaftliche Rechte, Frauenrechte und den Schutz für Minderheiten und kleine ethnische Gruppen zu beseitigen. Die Regierung versuchte die Bürokratie unter ihre totale Kontrolle zu bringen und demütigte den öffentlichen Dienst in der Öffentlichkeit.
Nawaz Sharif wollte wie ein Mogul-Kaiser herrschen, dessen Worte innerhalb von Sekunden in Taten umgesetzt werden. Er führte eine Telefonleitung ein, mit der er persönlich Beschwerden entgegennehmen konnte, um unmittelbar zur Aktion zu schreiten. Das staatliche Fernsehen berichtete darüber, so dass die Bevölkerung den Eindruck erhielt, der Gerechtigkeit würde unverzüglich genüge getan.
Die Regierung Sharif war auch besessen vom Autobahnbau. Sharif wollte, dass die Straßen innerhalb von Tagen gebaut werden. Jedes Hindernis sollte beseitigt werden, ohne dass Alternativen in Betracht gezogen wurden. Dem entsprechend wurden viele historische Gebäude abgerissen, was eine verbreitete Unzufriedenheit unter der städtischen Bevölkerung hervorrief.
Trotz seiner Demagogie war Sharif nicht in der Lage, die Tagesordnung des IWF durchzuführen, die eine rasche Privatisierung der wichtigsten Institutionen des öffentlichen Sektors wie Eisenbahn, Telekommunikation und Elektrizitätsversorgung vorsah. Er legte sich mit einigen internationalen Energieunternehmen an, die mit der früheren Regierung von Benazir Bhutto Verträge für den Bau von Kernkraftwerken abgeschlossen hatten. Diese Verträge erlaubten den Energiekonzernen Elektrizität zu einem Preis zu verkaufen, der über dem im internationalen Wettbewerb üblichen lag. Die Energiemultis hatten die Regierung Bhutto bestochen, damit sie diesen Verträgen zustimmte. Die Sharif-Clique profitierte nicht von diesen Bestechungsgeldern und war somit gegen diese Abkommen. Letztendlich intervenierte die Weltbank, die Sharif zu einem Kompromiss mit den Energieunternehmen drängte.
Die Regierung Sharif testete auch eine Atombombe - trotz der heuchlerischen Proteste der USA. Er führte Krieg mit Indien und verlor. Dies isolierte die Regierung von ihrer religiösen Gefolgschaft und ihren internationalen Unterstützern. Die Regierung hoffte noch auf umfassende Handelsbeziehungen mit dem Daewo- Konzern. Doch dieser koreanische Multi befindet sich in einer tiefen Krise und ist nicht bereit, seine Operationen in Pakistan auszuweiten.
Die Regierung Sharif war schwach, instabil und isoliert. Überraschenderweise hinderte sie dies nicht daran, ihren Konflikt mit der militärischen Hierarchie zu verschärfen.
Der Militärputsch rief von Seiten der Massen keinerlei Widerstand hervor. Es gab eine gewisse Verwirrung unter der Bevölkerung und in einem gewissen Ausmaß auch Erleichterung. Das Militär hat seine Strategie noch nicht entwickelt. Anders als bei früheren Staatstreichen haben die Generäle die Religion nicht als den Hauptvorwand für ihre Aktionen benutzt.
Wenn die Generäle versuchen, eine offene Militärherrschaft unter dem Kriegsrecht zu errichten, könnten sie mit der Opposition des IWF, der Weltbank und der US-Regierung rechnen. Es ist deshalb wahrscheinlicher, dass sie eine zivile Marionettenregierung unter vollständiger militärischer Kontrolle einsetzen werden.
Das Hauptziel dieser sog. Zivilregierung wird die rasche Durchsetzung der IWF-Tagesordnung sein. Für die Linke und die Gewerkschaftsbewegung in Pakistan ist der Machtantritt der Militärs ein weiterer Rückschlag.
Farooq Tariq

Der Autor ist Generalsekretär der Labour Party of Pakistan.


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