Sozialistische Zeitung |
Am Abend des 12.Oktober besetzte das Militär die wichtigsten Gebäude in Pakistans Hauptstadt
Islamabad, nachdem Ministerpräsident Nawaz Sharif die Entlassung General Mussarafs verkündet hatte. Der
Ministerpräsident und sein Bruder wurden in "Schutzhaft" genommen.
In seiner ersten Ansprache an die Nation sprach Armeechef General
Pervaiz Musharf nicht vom Kriegsrecht und er kündigte auch keine Übergangsmaßnahmen an. Er sagte, dass sich jeder des
Chaos und der Unsicherheit bewusst sei, die das Land in den letzten Jahren durchgemacht habe: "Nicht nur dass mit allen Institutionen
leichtfertig umgegangen wurde und sie zerstört worden sind, auch die Wirtschaft bricht zusammen. Trotz meiner Ermahnung versuchten
sie sich in die Streitkräfte einzumischen, die letzte funktionierende Einrichtung, auf die ihr alle so stolz seid und die ihr jederzeit als
Bewahrerin von Stabilität, Einheit und Integrität unseres geliebten Landes betrachtet."
Das ist die übliche Demagogie eines militärischen
Führers. Doch General Musharf hat das Kriegsrecht noch nicht ausgerufen. Der Militärputsch wurde offensichtlich durch die
Ankündigung der Entlassung des Generals provoziert. Nur eine Woche früher hatte die Regierung Sharif den General zum Chef des
Generalstabs ernannt. Der General hatte diesen daraufhin von einigen höheren Offizieren gesäubert, die als Anhänger von
Nawaz Sharif galten. Im Gegenzug versuchte der Ministerpräsident den General zu entlassen.
Dies war der unmittelbare Vorwand für den Staatsstreich. Doch die
Hauptgründe sind zutiefst verbunden mit der gegenwärtigen Wirtschaftskrise und ihren politischen Auswirkungen. Der Putsch ist
Teil der Nachwehen der Zusammenstöße mit Indien in Kargil um die Kaschmir-Frage. Die Regierung Sharif machte
Armeeführer für die Niederlage Pakistans verantwortlich.
Um bessere Bedingungen für die Pakistan vom Internationalen
Währungsfonds (IWF) gewährten Kredite zu erhalten, beschuldigte die Regierung Sharif jüngst die Regierung der Taliban in
Afghanistan "terroristische Aktivitäten" in Pakistan zu unterstützen. Dies war eine überraschende 180-Grad-
Wende, denn Pakistan ist das einzige Land in der Welt, das das Regime der Taliban in Afghanistan offiziell anerkannt hatte. Es hatte die
Taliban bei der Einnahme Kabuls und anderer Teile Afghanistans aktiv unterstützt. Sharifs plötzliche Feindseligkeit gegen das
Regime in Kabul wurde von den verschiedenen religiösen Strömungen in der Armee nicht geschätzt.
Die Wirtschaft liegt völlig danieder. Der Versuch der Regierung,
eine allgemeine Verkaufssteuer einzuführen, wurde vom Verband der Kleinhändler mit einem landesweiten Streik am 4.September
vereitelt. Angesichts dieser Proteste ignorierte die Regierung die Auflagen des IWF, zog die Verkaufssteuer zurück und führte eine
neue Steuer ein.
Außerdem organisierten Baumwollpflanzer Massendemonstrationen
für eine Erhöhung der garantierten Baumwollpreise. Diese Erhöhung wurde vom mächtigen Verband der
pakistanischen Textilunternehmer abgelehnt. Baumwolle macht 70% der pakistanischen Exporte aus. Das Land produziert ein Zehntel der
Baumwolle der Welt. Am 10.Oktober blockierte ein landesweiter Protest der Bauern und Baumwollpflanzer für mehrere Stunden alle
wichtigen Verkehrsstraßen Pakistans.
Diese Entwicklungen enthüllen die extreme Unpopularität der
Regierung Sharif und den dramatischen Rückgang der Unterstützung für den Ministerpräsidenten in der
Bevölkerung. Anfang 1997 hatte Sharif die Parlamentswahlen mit 40% der Stimmen und 65% der Sitze in der Nationalversammlung
gewonnen. Die Regierung benutzte ihre Mehrheit, um verfassungsmäßige Garantien für gewerkschaftliche Rechte,
Frauenrechte und den Schutz für Minderheiten und kleine ethnische Gruppen zu beseitigen. Die Regierung versuchte die Bürokratie
unter ihre totale Kontrolle zu bringen und demütigte den öffentlichen Dienst in der Öffentlichkeit.
Nawaz Sharif wollte wie ein Mogul-Kaiser herrschen, dessen Worte
innerhalb von Sekunden in Taten umgesetzt werden. Er führte eine Telefonleitung ein, mit der er persönlich Beschwerden
entgegennehmen konnte, um unmittelbar zur Aktion zu schreiten. Das staatliche Fernsehen berichtete darüber, so dass die
Bevölkerung den Eindruck erhielt, der Gerechtigkeit würde unverzüglich genüge getan.
Die Regierung Sharif war auch besessen vom Autobahnbau. Sharif wollte,
dass die Straßen innerhalb von Tagen gebaut werden. Jedes Hindernis sollte beseitigt werden, ohne dass Alternativen in Betracht gezogen
wurden. Dem entsprechend wurden viele historische Gebäude abgerissen, was eine verbreitete Unzufriedenheit unter der
städtischen Bevölkerung hervorrief.
Trotz seiner Demagogie war Sharif nicht in der Lage, die Tagesordnung des
IWF durchzuführen, die eine rasche Privatisierung der wichtigsten Institutionen des öffentlichen Sektors wie Eisenbahn,
Telekommunikation und Elektrizitätsversorgung vorsah. Er legte sich mit einigen internationalen Energieunternehmen an, die mit der
früheren Regierung von Benazir Bhutto Verträge für den Bau von Kernkraftwerken abgeschlossen hatten. Diese
Verträge erlaubten den Energiekonzernen Elektrizität zu einem Preis zu verkaufen, der über dem im internationalen
Wettbewerb üblichen lag. Die Energiemultis hatten die Regierung Bhutto bestochen, damit sie diesen Verträgen zustimmte. Die
Sharif-Clique profitierte nicht von diesen Bestechungsgeldern und war somit gegen diese Abkommen. Letztendlich intervenierte die Weltbank,
die Sharif zu einem Kompromiss mit den Energieunternehmen drängte.
Die Regierung Sharif testete auch eine Atombombe - trotz der
heuchlerischen Proteste der USA. Er führte Krieg mit Indien und verlor. Dies isolierte die Regierung von ihrer religiösen
Gefolgschaft und ihren internationalen Unterstützern. Die Regierung hoffte noch auf umfassende Handelsbeziehungen mit dem Daewo-
Konzern. Doch dieser koreanische Multi befindet sich in einer tiefen Krise und ist nicht bereit, seine Operationen in Pakistan auszuweiten.
Die Regierung Sharif war schwach, instabil und isoliert.
Überraschenderweise hinderte sie dies nicht daran, ihren Konflikt mit der militärischen Hierarchie zu verschärfen.
Der Militärputsch rief von Seiten der Massen keinerlei Widerstand
hervor. Es gab eine gewisse Verwirrung unter der Bevölkerung und in einem gewissen Ausmaß auch Erleichterung. Das
Militär hat seine Strategie noch nicht entwickelt. Anders als bei früheren Staatstreichen haben die Generäle die Religion
nicht als den Hauptvorwand für ihre Aktionen benutzt.
Wenn die Generäle versuchen, eine offene Militärherrschaft
unter dem Kriegsrecht zu errichten, könnten sie mit der Opposition des IWF, der Weltbank und der US-Regierung rechnen. Es ist deshalb
wahrscheinlicher, dass sie eine zivile Marionettenregierung unter vollständiger militärischer Kontrolle einsetzen werden.
Das Hauptziel dieser sog. Zivilregierung wird die rasche Durchsetzung der
IWF-Tagesordnung sein. Für die Linke und die Gewerkschaftsbewegung in Pakistan ist der Machtantritt der Militärs ein weiterer
Rückschlag.
Farooq Tariq