Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.22 vom 28.10.1999, Seite 15

Verharmlosender Blödsinn

"Jakob der Lügner", USA/Polen/Ungarn/Frankreich 1997, Regie: Peter Kassovitz; mit Robin Williams, Alan Arkin, Bob Balaban, Mathieu Kassovitz, Armin Mueller-Stahl. (Kinostart: 28.10.1999.)

Man soll es kaum glauben, aber "Jakob der Lügner" spielt im jüdischen Ghetto von Warschau während des Zweiten Weltkriegs. Es ist deswegen so unglaublich, weil dieser Film mit der Leichtigkeit und dem Wortwitz einer "screwball comedy" daherkommt. Gelegentlich hat man den Eindruck, die SchauspielerInnen haben die falschen Kostüme an. Man wartet förmlich darauf, dass die Kulissen ausgetauscht werden und der Film dann plötzlich doch in Woody Allens Manhattan spielt oder am besten direkt in Beverly Hills oder Hollywood.
Doch das würde Woody Allen nicht gerecht. Immerhin hat er es geschafft, in Zelig das Problem des Mitläufertums im Faschismus humorvoll, aber doch angemessen zu behandeln. In Jacob der Lügner geht es jedoch nicht um Mitläufer, sondern um Opfer des Faschismus. Diese geben sich so leicht und beschwingt wie in einem Boulevardstück. Ein Kreis von Herren fortgeschrittenen Alters trifft sich regelmäßig in einem ehemaligen Friseurladen, um dort über das Weltgeschehen zu plaudern. Daß diese Herren selbst mitten in einer Vernichtungsmaschinerie stecken, die ihnen jeden Moment das Leben nehmen kann, wird an keiner Stelle des Films glaubwürdig vermittelt. Der Arzt, der Friseur, der Reibekuchenbäcker, der ehemalige Profiboxer und noch einige andere agieren so, als ob sie von dem mörderischen Geschehen um sie herum gar nicht selbst betroffen wären.
Dabei ist der Film, der nach einem Roman des ostdeutschen Schriftstellers Jurek Becker gedreht wurde, gut gemeint. Der "Held" des Films, der Reibekuchenbäcker Jakob - dargestellt von Robin Williams - schnappt im Hauptquartier der SS, das er erstaunlicherweise lebend verlässt, eine Radionachricht über das Vorrücken der Roten Armee auf. Als er das im Ghetto erzählt, kommt das Gerücht auf, er selbst besitze ein Radio. Die Deutschen haben den BewohnerInnen des Ghettos aber bei Androhung der Todesstrafe den Besitz eines Radios untersagt.
Jakob wird nun zum "Held" des Ghettos, weil er als einziger "Nachrichten" von außerhalb erhält. Das Gerücht "zwingt" Jakob nun dazu, Nachrichten zu erfinden. Er erfindet mit Vorliebe Nachrichten über das Vordringen der alliierten Truppen, damit die GhettobewohnerInnen den Mut nicht sinken lassen. Gezeigt werden soll die Geschichte vom "kleinen Mann", der mit List und Bauernschläue die Mächtigen hinters Licht führt und so seinen Mitmenschen hilft.
Dieses Vorhaben der Filmemacher misslingt jedoch gründlich. Vielmehr entsteht eine völlig unrealistische Geschichte, in der sich ein Clown durch das Erfinden hanebüchener Geschichten unnötig in noch größere Lebensgefahr begibt.
Die SS-Schergen erscheinen in diesem Zusammenhang nicht als Mörderbande, sondern als Verein von Volltrotteln, die durch die simpelsten Tricks hereinzulegen sind. Dieser verharmlosende Blödsinn wird dann auch noch als die einzige Möglichkeit dargestellt, im Ghetto Widerstand zu leisten. Dabei hatten in der historischen Realität linke und zionistische Parteien funktionierende Strukturen im Ghetto aufgebaut und führten im August 1943 einen bewaffneten Aufstand gegen die deutsche Vernichtungsmacht durch. Diese Erhebung war zwar von vorneherein zum Scheitern verurteilt, zeigte aber, dass Jüdinnen und Juden nicht nur wehrlose Opfer waren.
Im Film wird demgegenüber wieder das Klischee der wehrlosen Opfer verbraten, die den Schlächtern allenfalls ihren spezifischen Witz entgegensetzen konnten. Die Art der Darstellung vermittelt die Vorstellung eines "Faschismus light", der mit harmlosen Clownerien zu bekämpfen gewesen wäre. Der gut gemeinte Ansatz, die Verbrechen des Faschismus darzustellen. ohne lähmende Betroffenheit aufkommen zu lassen, artet in eine ungewollte Verharmlosung des Faschismus aus. Gut gemeint ist manchmal das Gegenteil von gut.
Andreas Bodden
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