Sozialistische Zeitung |
Man soll es kaum glauben, aber "Jakob der Lügner" spielt im jüdischen Ghetto von
Warschau während des Zweiten Weltkriegs. Es ist deswegen so unglaublich, weil dieser Film mit der Leichtigkeit und dem Wortwitz
einer "screwball comedy" daherkommt. Gelegentlich hat man den Eindruck, die SchauspielerInnen haben die falschen
Kostüme an. Man wartet förmlich darauf, dass die Kulissen ausgetauscht werden und der Film dann plötzlich doch in Woody
Allens Manhattan spielt oder am besten direkt in Beverly Hills oder Hollywood.
Doch das würde Woody Allen nicht gerecht. Immerhin hat er es
geschafft, in Zelig das Problem des Mitläufertums im Faschismus humorvoll, aber doch angemessen zu behandeln. In Jacob der
Lügner geht es jedoch nicht um Mitläufer, sondern um Opfer des Faschismus. Diese geben sich so leicht und beschwingt wie in
einem Boulevardstück. Ein Kreis von Herren fortgeschrittenen Alters trifft sich regelmäßig in einem ehemaligen
Friseurladen, um dort über das Weltgeschehen zu plaudern. Daß diese Herren selbst mitten in einer Vernichtungsmaschinerie
stecken, die ihnen jeden Moment das Leben nehmen kann, wird an keiner Stelle des Films glaubwürdig vermittelt. Der Arzt, der Friseur,
der Reibekuchenbäcker, der ehemalige Profiboxer und noch einige andere agieren so, als ob sie von dem mörderischen Geschehen
um sie herum gar nicht selbst betroffen wären.
Dabei ist der Film, der nach einem Roman des ostdeutschen Schriftstellers
Jurek Becker gedreht wurde, gut gemeint. Der "Held" des Films, der Reibekuchenbäcker Jakob - dargestellt von Robin
Williams - schnappt im Hauptquartier der SS, das er erstaunlicherweise lebend verlässt, eine Radionachricht über das
Vorrücken der Roten Armee auf. Als er das im Ghetto erzählt, kommt das Gerücht auf, er selbst besitze ein Radio. Die
Deutschen haben den BewohnerInnen des Ghettos aber bei Androhung der Todesstrafe den Besitz eines Radios untersagt.
Jakob wird nun zum "Held" des Ghettos, weil er als einziger
"Nachrichten" von außerhalb erhält. Das Gerücht "zwingt" Jakob nun dazu, Nachrichten zu erfinden.
Er erfindet mit Vorliebe Nachrichten über das Vordringen der alliierten Truppen, damit die GhettobewohnerInnen den Mut nicht sinken
lassen. Gezeigt werden soll die Geschichte vom "kleinen Mann", der mit List und Bauernschläue die Mächtigen hinters
Licht führt und so seinen Mitmenschen hilft.
Dieses Vorhaben der Filmemacher misslingt jedoch gründlich.
Vielmehr entsteht eine völlig unrealistische Geschichte, in der sich ein Clown durch das Erfinden hanebüchener Geschichten
unnötig in noch größere Lebensgefahr begibt.
Die SS-Schergen erscheinen in diesem Zusammenhang nicht als
Mörderbande, sondern als Verein von Volltrotteln, die durch die simpelsten Tricks hereinzulegen sind. Dieser verharmlosende
Blödsinn wird dann auch noch als die einzige Möglichkeit dargestellt, im Ghetto Widerstand zu leisten. Dabei hatten in der
historischen Realität linke und zionistische Parteien funktionierende Strukturen im Ghetto aufgebaut und führten im August 1943
einen bewaffneten Aufstand gegen die deutsche Vernichtungsmacht durch. Diese Erhebung war zwar von vorneherein zum Scheitern verurteilt,
zeigte aber, dass Jüdinnen und Juden nicht nur wehrlose Opfer waren.
Im Film wird demgegenüber wieder das Klischee der wehrlosen
Opfer verbraten, die den Schlächtern allenfalls ihren spezifischen Witz entgegensetzen konnten. Die Art der Darstellung vermittelt die
Vorstellung eines "Faschismus light", der mit harmlosen Clownerien zu bekämpfen gewesen wäre. Der gut gemeinte
Ansatz, die Verbrechen des Faschismus darzustellen. ohne lähmende Betroffenheit aufkommen zu lassen, artet in eine ungewollte
Verharmlosung des Faschismus aus. Gut gemeint ist manchmal das Gegenteil von gut.
Andreas Bodden
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