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Der dramatische Abgang von Oskar Lafontaine war mehr als eine persönliche Zäsur. Das gilt auch
für sein Buch Das Herz schlägt links, dessen Inhalt mehr als eine persönliche Abrechnung mit seinen obsiegenden
Gegenspielern und eine detaillierte Begründung seines Abgangs ist.
Auch wenn seine früheren FührungsgenossInnen sich
verschworen haben, sich nicht inhaltlich mit den Positionen Lafontaines auseinanderzusetzen, sondern sich mit wütenden
persönlichen Attacken hinter dem Vorwurf eines moralischen Tabubruchs verschanzen - der eigentliche Gehalt, die Bedeutung des
über die SPD hinaus wirkenden außerordentlichen Vorgangs wird sich so nicht unterdrücken lassen.
Denn damit ist ein einschneidender Wechsel in der gesamten politischen
Identität der SPD sichtbar geworden, auch wenn Qualität und Dimension dieser Umschichtung, samt den daraus resultierenden
gesamtgesellschaftlichen Folgewirkungen, weder in den Medien, noch von den anderen politischen (Klassen-)Formationen und Institutionen,
wahrscheinlich nicht einmal von der Mehrheit der sozialdemokratischen Wähler- und Mitgliedschaft bisher angemessen wahrgenommen
wurden.
Die Ummontage der Partei setzte nicht erst in den letzten Jahren ein. Sie
begann bereits mit dem Godesberger Programm (1959). Damals trennte sich die SPD von ihren ohnehin nur noch spärlich vorhandenen
marxistischen Wurzeln. Es folgte die Große Koalition (1966), der die Zustimmung zu einer militärisch mitbestimmten
Außenpolitik vorausging. Später kamen die Konzertierte Aktion, die Zustimmung zu den Notstandsgesetzten, die von der alten SPD
mitbetriebene Einschränkung des Asylrechts und die gesetzliche Anwendbarkeit des Lauschangriffs hinzu.
Den vorläufigen Abschluss fand die Entkernung der alten SPD in den
weder in der Öffentlichkeit noch in der SPD ausreichend beachteten Dresdner Thesen, die 1998, drei Monate vor dem Leipziger
Kanzlernominierungsparteitag, in einer internen Konferenz unter Leitung von Bodo Hombach verabschiedet wurden. Diese Thesen forderten,
mitverfasst von wichtigen Strategen aus den oberen Wirtschafts- und Finanzetagen, allen "ökologischen und sozialen
Wildwuchs" auszumerzen.
Anschließend an den Wahlsieg von SPD und Bündnis-
Grünen wurden zunächst einige Wahlversprechen abgehakt, doch dann kam man zur Sache: Die frühere SPD bzw. die von ihr
gestellte Regierung, erhob sich nunmehr zur Sachwalterin nationaler und internationaler Kapitalverwertungsinteressen.
Und das alles will Oskar Lafontaine, der analytische Denker und
Powerman, nicht gesehen, nicht eingeschätzt haben?
Sollte er tatsächlich gedacht haben, mit Schröder, dem eitlen
Wiener-Hofball-Besucher und Piech-Amigo, könne es zwar gelingen, die Wahlen gegen Kohl zu gewinnen, doch danach wäre es
möglich, dass er, Lafontaine, als zweiter, strategischer Sieger, das Steuer übernähme?
Hat Lafontaine tatsächlich den entscheidenden Struktur- und
Gesinnungswandel,in seiner nächsten Umgebung und im Inneren der gesamten Partei übersehen oder nicht zur Kenntnis nehmen
wollen? Hat er erst nachdem er mit seinem schon arg zerzausten Steuerreformpaket gegen die Wand lief und als seine Versuche, die
Währungsspekulationen und andere der politischen Kontrolle entronnenen Operationen des Finanzkapitals anzugehen, konterkariert und
unterlaufen wurden, bemerkt, dass außer der symphatischen Jusovorsitzenden Andrea Nahles und dem einsamen Sprecher der
ausgedünnten SPD-Linken, Detlef von Larcher, kaum einer mehr hinter ihm, geschweige denn an seiner Seite stand? Hat er erst Klarheit
über die tatsächlichen Machtkonstellationen gewonnen, als Schröder ihn anblaffte, mit ihm sei "eine gegen die
Wirtschaft gerichtete Politik nicht zu machen"? Kaum zu glauben. Aber vielleicht hat sich der gute Oskar Lafontaine im Hinblick auf seine
Durchsetzungskraft und sein Renommé in der Partei seit dem Mannheimer Parteitag, auf dem er mit einer fulminanten Rede Rudolf
Scharping als Parteivorsitzenden ablöste, ja permanent überschätzt.
Nun weiß er, wie es um seine Partei tatsächlich bestellt ist.
Allerdings hat sich die Wetterlage inzwischen beträchtlich verschlechtert. Das Regierungsschiff ist in schwere See geraten. Trotzdem
soll keine Kursänderung vorgenommen werden, auch wenn das Verpackungsseil des Sparpakets zum Strangulierungsriemen geworden ist
und die Massenkaufkraft zunehmend schwindet, auch wenn der Stau nicht verkaufbarer Güter immer höher wird. Dabei wird das
Wachstumsterrain enger, der Niedergangsgürtel breiter und ein ökonomischer, sozialer und ökologischer Kollaps dräut
am Horizont.
Solche Einschätzungen und Erkenntnisse haben die politischen
Positionen und die daraus resultierenden Prämissen von Oskar Lafontaine sicherlich mitbestimmt. Doch am Versuch des Gegensteuerns
ist er gescheitert.
Weil aber - auch in Europa - die sozialen Wellenschläge zunehmend
härter werden und die turbulenten Winde sich verstärken, stellt sich nunmehr jenseits aller allegorischen Betrachtungen erneut die
Frage: Welche Kraft ist in der Lage, das verlassene linke Terrain in unserer Gesellschaft adäquat zu besetzen? Die Alte SPD (noch
einmal symbolhaft verkörpert in der Person Oskar Lafontaine) ist als linke Partei endgültig kollabiert. Deren verwirrte
Resthinterlassenschaft hat, der beträchtlichen Vorläuferschaft folgend, sich nunmehr in die Neue SPD geflüchtet. Doch es
verbleibt, bedingt durch den weiteren neokapitalistischen gesellschaftlichen Entwicklungsprozess, eine enorme linke Herausforderung
vorhanden. Denn wenn eine umfassende Ausgestaltung und Potenzierung linker Alternativ- und Gegenkraftkraft nicht zustandekommt,
könnte das gesamte gesellschaftliche Gefüge, allein schon weil ohne ausreichendes linkes Gegengewicht, in zunehmendem Umfang
und Tempo noch weiter nach rechts kippen.
Wer sind unter solchen Auspizien nun Koalitionspartner, mit denen vor
allem die PDS - vorausgesetzt sie ist selbst dazu in der Lage - zusammenarbeiten könnte, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken?
Welche Gewerkschaftsbereiche, welche sozialen, friedenspolitischen, ökologischen, welche abgesprengten oder abgehängten
Restteile der alten SPD stehen jenseits der Neuen SPD unter welchen Bedingungen, mit welchen Ansatzpunkten und Perspektiven vielleicht
doch noch zur Verfügung?
Fragen, die weiterer Aufarbeitung bedürfen. Vielleicht greift sie auch
der von opportunem Kompromisszwang und Vorsitzendenloyalität befreite Sozialist Oskar Lafontaine auf. Sein Buch jedenfalls bedarf
konsequenter Fortsetzung und Schlussfolgerung.
Heiner Halberstadt
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