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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.22 vom 28.10.1999, Seite 15

‘Das Herz schlägt links‘

Der dramatische Abgang von Oskar Lafontaine war mehr als eine persönliche Zäsur. Das gilt auch für sein Buch Das Herz schlägt links, dessen Inhalt mehr als eine persönliche Abrechnung mit seinen obsiegenden Gegenspielern und eine detaillierte Begründung seines Abgangs ist.
Auch wenn seine früheren FührungsgenossInnen sich verschworen haben, sich nicht inhaltlich mit den Positionen Lafontaines auseinanderzusetzen, sondern sich mit wütenden persönlichen Attacken hinter dem Vorwurf eines moralischen Tabubruchs verschanzen - der eigentliche Gehalt, die Bedeutung des über die SPD hinaus wirkenden außerordentlichen Vorgangs wird sich so nicht unterdrücken lassen.
Denn damit ist ein einschneidender Wechsel in der gesamten politischen Identität der SPD sichtbar geworden, auch wenn Qualität und Dimension dieser Umschichtung, samt den daraus resultierenden gesamtgesellschaftlichen Folgewirkungen, weder in den Medien, noch von den anderen politischen (Klassen-)Formationen und Institutionen, wahrscheinlich nicht einmal von der Mehrheit der sozialdemokratischen Wähler- und Mitgliedschaft bisher angemessen wahrgenommen wurden.
Die Ummontage der Partei setzte nicht erst in den letzten Jahren ein. Sie begann bereits mit dem Godesberger Programm (1959). Damals trennte sich die SPD von ihren ohnehin nur noch spärlich vorhandenen marxistischen Wurzeln. Es folgte die Große Koalition (1966), der die Zustimmung zu einer militärisch mitbestimmten Außenpolitik vorausging. Später kamen die Konzertierte Aktion, die Zustimmung zu den Notstandsgesetzten, die von der alten SPD mitbetriebene Einschränkung des Asylrechts und die gesetzliche Anwendbarkeit des Lauschangriffs hinzu.
Den vorläufigen Abschluss fand die Entkernung der alten SPD in den weder in der Öffentlichkeit noch in der SPD ausreichend beachteten Dresdner Thesen, die 1998, drei Monate vor dem Leipziger Kanzlernominierungsparteitag, in einer internen Konferenz unter Leitung von Bodo Hombach verabschiedet wurden. Diese Thesen forderten, mitverfasst von wichtigen Strategen aus den oberen Wirtschafts- und Finanzetagen, allen "ökologischen und sozialen Wildwuchs" auszumerzen.
Anschließend an den Wahlsieg von SPD und Bündnis- Grünen wurden zunächst einige Wahlversprechen abgehakt, doch dann kam man zur Sache: Die frühere SPD bzw. die von ihr gestellte Regierung, erhob sich nunmehr zur Sachwalterin nationaler und internationaler Kapitalverwertungsinteressen.
Und das alles will Oskar Lafontaine, der analytische Denker und Powerman, nicht gesehen, nicht eingeschätzt haben?
Sollte er tatsächlich gedacht haben, mit Schröder, dem eitlen Wiener-Hofball-Besucher und Piech-Amigo, könne es zwar gelingen, die Wahlen gegen Kohl zu gewinnen, doch danach wäre es möglich, dass er, Lafontaine, als zweiter, strategischer Sieger, das Steuer übernähme?
Hat Lafontaine tatsächlich den entscheidenden Struktur- und Gesinnungswandel,in seiner nächsten Umgebung und im Inneren der gesamten Partei übersehen oder nicht zur Kenntnis nehmen wollen? Hat er erst nachdem er mit seinem schon arg zerzausten Steuerreformpaket gegen die Wand lief und als seine Versuche, die Währungsspekulationen und andere der politischen Kontrolle entronnenen Operationen des Finanzkapitals anzugehen, konterkariert und unterlaufen wurden, bemerkt, dass außer der symphatischen Jusovorsitzenden Andrea Nahles und dem einsamen Sprecher der ausgedünnten SPD-Linken, Detlef von Larcher, kaum einer mehr hinter ihm, geschweige denn an seiner Seite stand? Hat er erst Klarheit über die tatsächlichen Machtkonstellationen gewonnen, als Schröder ihn anblaffte, mit ihm sei "eine gegen die Wirtschaft gerichtete Politik nicht zu machen"? Kaum zu glauben. Aber vielleicht hat sich der gute Oskar Lafontaine im Hinblick auf seine Durchsetzungskraft und sein Renommé in der Partei seit dem Mannheimer Parteitag, auf dem er mit einer fulminanten Rede Rudolf Scharping als Parteivorsitzenden ablöste, ja permanent überschätzt.
Nun weiß er, wie es um seine Partei tatsächlich bestellt ist. Allerdings hat sich die Wetterlage inzwischen beträchtlich verschlechtert. Das Regierungsschiff ist in schwere See geraten. Trotzdem soll keine Kursänderung vorgenommen werden, auch wenn das Verpackungsseil des Sparpakets zum Strangulierungsriemen geworden ist und die Massenkaufkraft zunehmend schwindet, auch wenn der Stau nicht verkaufbarer Güter immer höher wird. Dabei wird das Wachstumsterrain enger, der Niedergangsgürtel breiter und ein ökonomischer, sozialer und ökologischer Kollaps dräut am Horizont.
Solche Einschätzungen und Erkenntnisse haben die politischen Positionen und die daraus resultierenden Prämissen von Oskar Lafontaine sicherlich mitbestimmt. Doch am Versuch des Gegensteuerns ist er gescheitert.
Weil aber - auch in Europa - die sozialen Wellenschläge zunehmend härter werden und die turbulenten Winde sich verstärken, stellt sich nunmehr jenseits aller allegorischen Betrachtungen erneut die Frage: Welche Kraft ist in der Lage, das verlassene linke Terrain in unserer Gesellschaft adäquat zu besetzen? Die Alte SPD (noch einmal symbolhaft verkörpert in der Person Oskar Lafontaine) ist als linke Partei endgültig kollabiert. Deren verwirrte Resthinterlassenschaft hat, der beträchtlichen Vorläuferschaft folgend, sich nunmehr in die Neue SPD geflüchtet. Doch es verbleibt, bedingt durch den weiteren neokapitalistischen gesellschaftlichen Entwicklungsprozess, eine enorme linke Herausforderung vorhanden. Denn wenn eine umfassende Ausgestaltung und Potenzierung linker Alternativ- und Gegenkraftkraft nicht zustandekommt, könnte das gesamte gesellschaftliche Gefüge, allein schon weil ohne ausreichendes linkes Gegengewicht, in zunehmendem Umfang und Tempo noch weiter nach rechts kippen.
Wer sind unter solchen Auspizien nun Koalitionspartner, mit denen vor allem die PDS - vorausgesetzt sie ist selbst dazu in der Lage - zusammenarbeiten könnte, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken? Welche Gewerkschaftsbereiche, welche sozialen, friedenspolitischen, ökologischen, welche abgesprengten oder abgehängten Restteile der alten SPD stehen jenseits der Neuen SPD unter welchen Bedingungen, mit welchen Ansatzpunkten und Perspektiven vielleicht doch noch zur Verfügung?
Fragen, die weiterer Aufarbeitung bedürfen. Vielleicht greift sie auch der von opportunem Kompromisszwang und Vorsitzendenloyalität befreite Sozialist Oskar Lafontaine auf. Sein Buch jedenfalls bedarf konsequenter Fortsetzung und Schlussfolgerung.
Heiner Halberstadt
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