Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-
Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.23 vom 11.11.1999, Seite 2

NGG für gesetzlichen Mindestlohn

Gegen "Arbeit in Armut" schlägt Werner Weck vom NGG-Vorstand einen gesetzlichen Mindestlohn vor. Das würde der Diskussion über eine Ausweitung des Niedriglohnsektors die Spitze abbrechen. In Bereichen wie dem Hotel- und Gaststättengewerbe und dem Konditorhandwerk sei Arbeit in Armut bereits Realität und breite sich aus. Alle Erwerbstätigen sollen einen gesetzlichen Anspruch auf einen Mindestlohn haben, der an die allgemeine Lohn- und Preisentwicklung angepasst werden muss.
Die NGG verweist darauf, dass es in den USA bereits seit Jahrzehnten einen Mindestlohn gibt, ebenso in anderen europäischen Industrienationen wie Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Luxemburg und seit April 1999 sogar in Großbritannien. Dort beträgt er je Arbeitsstunde brutto etwa knapp 10 Mark für Personen über 21 Jahre. Für Beschäftigte zwischen 18 und 21 Jahren beträgt er etwa 8 Mark. Obwohl dies sehr niedrig ist, haben viele davon profitiert, die bisher weniger bekamen.
Das gewerkschaftliche Wirtschafts- und Sozialinstitut (WSI) weist nach, dass es in der BRD Arbeit ab 8,38 Mark je Stunde gibt. Selbst nach einer Lehre gibt es kaum mehr.
Die NGG fordert einen Mindestlohn bei 2500 Mark im Monat für eine 35-Stunden-Woche. Das würde für eine Fleischverpackerin in Cuxhaven, die 2160 Mark im Monat bekommt (d.h. 13,08 Mark pro Stunde), oder für eine ungelernte Verkäuferin in einer Bäckerei, die 1737 Mark erhält, und für viele andere mehr einen erheblichen Schub bedeuten. Die Armutsgrenze liegt in Westdeutschland bei 2216 Mark, im Osten bei 1710 Mark.
Nun gibt es bei einigen Gewerkschaften, nicht zuletzt bei der IG Metall und bei der IG Medien, die Vorstellung, durch gesetzliche Mindestlöhne würden Tariflöhne unterschritten. Und überhaupt sei Lohnpolitik nicht Sache des Gesetzgebers, sondern der Tarifvertragsparteien. Sie lassen außer Acht, dass es große Bereiche gibt, in denen die Gewerkschaften so schwach sind, dass die Beschäftigten schutzlos der Ausbeutung ausgesetzt sind. Bekämen die Gewerkschaften anstelle der Betroffenen (die Angst davor haben) das Recht, den gesetzlichen Mindestlohn einzuklagen, wäre dies auch ein Anreiz sich zu organisieren, und es würde die Gewerkschaften stärken.
Dass eine tarifvertragliche Festlegung von Mindestlöhnen Fallstricke hat, lässt sich am Beispiel der IG Bauen-Agrar-Umwelt zeigen, die sich mit der Bauwirtschaft auf der Grundlage des "Entsendegesetzes" auf einen Mindestlohn einigte. Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände hielt den ausgehandelten Satz für zu hoch und versagte ihm die Allgemeinverbindlichkeit. Sie erreichte damit, dass der Mindestlohn im Jahr 1997 gesenkt wurde.
Auch im Hinblick darauf, dass "die Unterbietungskonkurrenz der europäischen Wohlfahrtsstaaten durch verbindliche sozial-ökologische Grundrechte und Mindeststandards gestoppt werden muss" (Sozialstaat als Reformprojekt, VSA) sind gesetzliche Regelungen geradezu zwingend.
Der Vertrag von Maastricht nötigt die einzelnen Staaten der EU zu Verhaltensweisen, die sie den Profitinteressen des Kapitals unterwerfen. Wenn die Schulden eines Staates nicht 3% des Bruttoinlandsprodukts, die Inflationsrate nicht eine bestimmte Höhe übersteigen dürfen, die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit aber nicht in gleicher Weise zu einem Kriterium für eine Eintrittskarte in die Europäische Union gemacht wird, macht dies deutlich, wessen Vorteil die EU-Staaten im Auge haben müssen.
Gegenwehr muss deshalb von gesetzlich abgesicherten Mindeststandards ausgehen, um die Interessen der abhängig Beschäftigten international und solidarisch durchzusetzen. Dass diese Standards nicht etwa von vornherein für Portugal und die BRD die gleichen sein können, ist selbstverständlich. Aber der gesetzlich garantierte und gewerkschaftlich einklagbare Mindestlohn müsste in jedem Land im gleichen festgelegten Verhältnis zum durchschnittlichen Einkommen liegen.
Völlig "vergessen" ist übrigens, dass in den Römischen Verträgen der EWG seinerzeit festgelegt wurde, dass Sozialstandards stets nach "oben", also an das höchste Niveau, angeglichen werden müssen. Im Maastrichter Vertrag gibt es nicht einmal mehr ein Auffangnetz nach unten.
Nicht zuletzt würde die ursprünglich "Bündnis für Arbeit, Innovation und soziale Gerechtigkeit", später "Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit" getaufte Runde, in der die Regierung zum "Gehilfen" der Kapitalinteressen wird, ihren Sinn verlieren. Denn Adressat der Forderung nach gesetzlichen Mindeststandards wäre die Regierung oder vielmehr die vom Volk gewählte parlamentarische Vertretung. Letztere könnte sich nicht mehr hinter dem "Bündnis" verstecken, sondern müsste Stellung beziehen. Parlamentsabgeordnete wollen doch auch wiedergewählt werden.
Jakob Moneta
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04


zum Anfang