Sozialistische Zeitung |
Ich wähle REP, damit die Asylanten schneller nach Bosnien zurückfliegen." Wochen nach
der Berlin-Wahl prangt dieser Spruch unter dem Konterfei eines jungen Mannes noch immer an vielen Laternen in Berlin-Pankow. Um die
Flüchtlingsheime in der Buchholzer Straße und der Blankenburger Straße häufen sich die rechten Plakate. Die
Flüchtlinge aus Bosnien und dem Kosovo haben sich schon daran gewöhnt.
Möglichst in der Nachbarschaft nicht auffallen, lautete bisher ihre
Devise. Am 13.Oktober haben sie diesen Grundsatz verletzt. Da brachten sie Transparente mit den Losungen "Bargeld für
alle" und "Wir sind Menschen und wollen so behandelt werden" an der Außenwand des Heims an. Schon nach wenigen
Stunden waren die Transparente verschwunden. Ob sie von aktiven Nachbarn oder der Heimleitung entfernt wurden, weiß niemand.
Mit der Transparentaktion wollten die Bewohner auf den Hungerstreik
aufmerksam machen, den ca. 150 BewohnerInnen von drei Berliner Flüchtlingsheimen vom 1.Oktober an 18 Tage lang durchgeführt
haben. Außer den Flüchtlingen aus den beiden Heimen in Pankow beteiligten sich an der Aktion auch die Bewohner aus der
Spandauer Streitstraße.
Die Nahrungsverweigerung war der Höhepunkt einer monatelangen
Auseinandersetzung zwischen den Flüchtlingen und dem Deutschen Roten Kreuz (DRK), das für die Betreuung der drei Heime
verantwortlich ist. Seit dem 1.Juni erhalten die Flüchtlinge statt Bargeld eine von einer Catering-Firma gelieferte Vollverpflegung. Selbst
das monatliche Taschengeld von 80 DM pro Person wird häufig gestrichen.
Milka, eine resolute Mittvierzigerin aus Bosnien, ruft bei einer
Protestveranstaltung vor der Berliner Sozialverwaltung erregt: "Was soll ich meinen Kindern erzählen, wenn sie mich fragen,
warum alle Mitschüler zu Weihnachten Geschenke bekommen, sie selber aber leer ausgehen? Oder kann mir jemand sagen, womit ich
ohne Geld Geschenke kaufen soll?"
Renata aus Bosnien hat sich aktiv am Streik beteiligt, weil sie das Essen
nicht mehr sehen kann. "Seit 4 Monaten gibt es jeden Mittag Kartoffel und Hähnchen und abends drei Tage Dosenfisch und drei
Tage billigste Salami", klagt sie. Der Ekel steht ihr im Gesicht geschrieben, während sie einige Fotos verteilt.
Die mit Hähnchen und eingeschweißten Salamipackungen
gefüllten Kühlschränke machen tatsächlich keinen appetitanregenden Eindruck. Auch die Bettelei um einen
Krankenschein empfinden die Flüchtlinge als demütigend. Häufig wird er von den zuständigen Behörden einfach
verweigert, wie auch Flüchtlingsbetreuer berichten.
Demonstrativ halten sich die Beamten Augen und Ohren zu, wenn
Flüchtlinge von ihren Krankheiten berichten. Die Folgen hat Milka am eigenen Leib erfahren. Sie zeigt auf rote Flecken am Hals.
"Viele hier im Heim leiden an Allergie, und weil wir nicht zum Arzt gehen können, verbreitet sie sich immer weiter", klagt
sie.
Doch in der Auseinandersetzung geht es nicht nur um Geld für
Geschenke, abwechslungsreicheres Essen und einen Krankenschein. Es geht den Flüchtlingen um die Verfügung über das
eigene Leben. "Wir haben uns in den Kriegsmonaten im ehemaligen Jugoslawien monatelang nur von Kartoffeln und Nudeln
ernähren müssen. Jetzt kann ich wieder nicht selber entscheiden, wie ich mich und meine Kinder ernähre", meint Milka,
und es wirkt nicht pathetisch, wenn sie betont: "Selber kochen ist für mich eine Frage der Menschenwürde."
Nach 19 Tagen Nahrungsverweigerung schwankte die Stimmung im
Flüchtlingsheim zwischen dem Mut der Verzweiflung und Depression. Die Aktion auszusetzen, ohne die kleinsten Verbesserungen
erreicht zu haben, fiel den Flüchtlingen nicht leicht. Doch weil viele von ihnen durch Krankheiten geschwächt waren, sahen sie sich
zu diesem Schritt gezwungen. An ihren Forderungen halten sie weiter fest, sie hoffen, dass das DRK seine mündlich zugesicherte
Ablehnung des Asylbewerberleistungsgesetzes gegenüber den Behörden durchsetzt.
Das DRK ist zu einer klaren Positionierung bisher aber nicht bereit
gewesen. Noch im September 1999 protestierte DRK-Präsident Klaus Schütz in Briefen an Berlins Regierenden
Bürgermeister Diepgen und an Bundestagspräsident Thierse gegen die Streichung von Bargeld für Flüchtlinge. Die
Sprecherin des DRK, Susanne Arabi, erklärte gegenüber der Presse, sie könne die Ängste und Befürchtungen der
Flüchtlinge gut verstehen.
"Man nimmt den Menschen den letzten Rest von Selbstbestimmung.
Wir waren von Anfang an gegen das Asylbewerberleistungsgesetz und haben schon im Frühjahr letzten Jahres vor den Folgen
gewarnt." Doch wegen der mit den Bezirksämtern abgeschlossenen Verträge seien dem DRK die Hände gebunden. Die
Bezirksämter aber haben die Vollverpflegung zur Bedingung für den Vertragsabschluss gemacht und rücken auch durch den
Hungerstreik von ihrer Position nicht ab.
Gleichzeitig verhandelt die DRK-Geschäftsführung nach
Angaben von Berliner Flüchtlingsberatern mit dem Spandauer Sozialamt über eine Verlängerung der Verträge mit der
inkriminierten Vollverpflegung über das Jahresende hinaus. Gegenüber den Flüchtlingen droht das Rote Kreuz auch schon
mal, die Leitung der Heime abzugeben. Dann würden Privatfirmen einspringen, die kommerziell ausgerichtet sind. Das ist eine
Anspielung auf die Sorat-Kette, die zahlreiche Flüchtlingsheime in Berlin und Brandenburg betreut und daran kräftig verdient.
Aber auch für das DRK ist die Heimbetreuung durchaus lukrativ.
Nach Angaben der Berliner Sozialsenatorin erhält es für Unterkunft und Vollverpflegung pro Person monatlich 1050 DM.
Das DRK verweist gegenüber den Hungerstreikenden auf die
Zuständigkeit der Politiker. Doch die verantwortliche Berliner Sozialsenatorin Beate Hübner (CDU) lehnte bei einem
Gespräch mit einer Flüchtlingsdelegation am 13.Oktober sämtliche Forderungen der Hungerstreikenden rundweg ab. Dabei
hatten sich die Flüchtlinge schon auf eine Kompromisslinie geeinigt und waren bereit, als Ersatz für die Vollverpflegung das
Chipkartensystem zu akzeptieren, das sie bisher als diskriminierend abgelehnt hatten. Sie hätten dann zwar auch kein Bargeld in der
Hand, könnten aber in begrenztem Rahmen selber entscheiden, welche Nahrungsmittel sie zu sich nehmen wollen.
Hübners harte Haltung ist nicht verwunderlich. Schließlich war
die Unterstützung für die Hungerstreikenden nicht sehr groß. Anders als noch bei der faktischen Abschaffung des Asylrechts
1993 blieb die Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes, gegen dessen Auswirkungen die Flüchtlinge jetzt protestieren, ein
Spezialthema für antirassistische Gruppen und Experten der Wohlfahrtsverbände. Seine Folgen fasst der Berliner
Flüchtlingsberater Georg Classen so zusammen: Flüchtlinge aus Bürgerkriegsregionen, die nicht abgeschoben werden
können, sollen mit der legalen Verweigerung von Sozialleistungen ausgehungert werden.
Einige Bundesländer wie Bayern und Baden-Württemberg,
teilweise auch NRW, haben schon 1993 mit dieser Leistungsverweigerung begonnen. Weil die Beschlüsse aber reihenweise von den
Gerichten aufgehoben wurden - ihnen fehlte die gesetzliche Grundlage - wurde letztere mit der 1997 in Kraft getretenen
Gesetzesverschärfung nachgeholt. Kaum war das Gesetz verabschiedet, ward eine neue Lücke im Ausländerrecht
ausgemacht.
Im Sommer 1997 lancierte die Berliner Ausländerbeauftragte
Babara John (CDU) mehrere Artikel im Tagesspiegel, aber auch einen auf der Titelseite der Taz, wo sie vor einem verstärkten Ansturm
Sozialhilfe kassierender Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien warnte. Wegen der politischen Situation in den
Herkunftsländern sei eine schnelle Abschiebung dieser Menschen nicht möglich, deshalb müsse dem Missbrauch von
Sozialleistungen durch die Streichung der Gelder Einhalt geboten werden. Am 10.9.1997 legte das Land Berlin einen Entwurf zur weiteren
Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes vor, der im März 1998 in erster Lesung im Bundestag verabschiedet wurde.
Nach Angaben von Georg Classen ist die Gesetzespraxis in Berlin
bundesweit einmalig und in vielen Fällen auch rechtswidrig. "Aushungern, obdachlos aussetzen, illegalisieren" - mit diesen
drei Schlagworten fasst er die Auswirkungen auf die Flüchtlinge zusammen. Schon werden neue Gesetzesverschärfungen
vorbereitet.
Den Vorreiter macht dieses Mal die CDU in Baden-Württemberg, die
auf der Konferenz der Innenminister Anfang November eine Regelung zu Fall bringen will, die Flüchtlinge mit einer Aufenthaltsdauer von
mehr als drei Jahren wie normale SozialhilfeempfängerInnen behandelt. "Wird eine lange Aufenthaltsdauer finanziell belohnt,
werden Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge geradezu aufgefordert, die Ausweisung auf dem Instanzenweg zu
verschleppen", lautet in den Stuttgarter Nachrichten die Begründung für die Angleichung nach unten.
Eine ähnliche Entwicklung ist auf europäischer Ebene im
Gang. Erst vor kurzem hat Bundesinnenminister Schily unter Verweis auf ein gemeinsames europäisches Asylrecht weitere
Verschlechterungen für die Flüchtlinge angekündigt. Die Londoner Regierung ging schon mal voran. Das britische Parlament
verabschiedete im Juni ein neues Asylgesetz, das das bisherige liberalere Flüchtlingsrecht ersetzt. "Gerechter, entschlossener,
schneller" soll es zugehen. Zu den Merkmalen der von New Labour eingebrachten Gesetzesnovelle gehören eine starke
Kürzung der finanziellen Zuschüsse für Flüchtlinge sowie die Umstellung der Leistungen von Bargeld auf das
Gutscheinsystem nach deutschem Vorbild.
Peter Nowak
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