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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.23 vom 11.11.1999, Seite 5

NATO auflösen!

Vorbereitungen für ein internationales Tribunal

Im Mai kommenden Jahres soll ein Internationales Tribunal die NATO wegen Verletzung des Völkerrechts, Verbrechen an der Zivilbevölkerung Jugoslawiens und zahlreicher anderer Vergehen im Zusammenhang mit dem Balkankrieg 1999 verurteilen und die Auflösung der NATO fordern.
So die Vorstellung eines US-amerikanischen Initiatoren-Kreises um den ehemaligen Justizminister unter Jimmy Carter, Ramsey Clark, der bereits im Golfkrieg einer der prominentesten Ankläger der US- amerikanischen Kriegsführung war. In Vorbereitung des Tribunals fanden und finden eine Anhörungen von Experten und Zeugen statt, die die Auswirkungen der NATO-Bombardierungen möglichst detailliert dokumentieren sollen. Einige dieser Anhörungen fanden in den USA statt; am 30.Oktober wurde das erste europäische Hearing in Berlin organisiert. Seine Vorbereitung oblag einer Ad- hoc-Initiativgruppe, die sich aus dem Kasseler Friedensratschlag, der Friedenskoordination Berlin, der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde (Berlin-Ost) und dem Ostdeutschen Kuratorium der Verbände zusammensetzte.
In Berlin kamen zwischen 500 und 600 teilweise sehr prominenten Persönlichkeiten aus Bulgarien, Frankreich, den Niederlanden, Österreich, Polen, Russland, den USA, der Schweiz, Spanien und der Bundesrepublik Jugoslawien zusammen - allesamt eng mit dem Anliegen befasst. "Ziel unserer Arbeit ist es, der historischen Wahrheit gerecht zu werden", erklärte zum Auftakt der französische Rechtsanwalt Pierre Kaldor.
Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarismus, Tübingen, lenkt das Augenmerk vor allem auf die neue NATO-Strategie. Die NATO habe sich im Jugoslawien-Krieg selbst mandatiert, genau dies sei auch für künftige Auseinandersetzungen zu befürchten. Das Tribunal ist aus dieser Sicht ein wichtiges Mittel, um dem "Paradigmenwechsel des Bündnisses" entgegenzuarbeiten.
Ramsey Clark stellte die militärtechnologische Entwicklung inden USA in den Mittelpunkt, die es ermögliche, ein Land lahmzulegen - bei minimalen eigenen Verlusten und ohne selbst am Boden intervenieren zu müssen. "Kein Land der Welt ist sicher vor dieser Technologie", warnte er, ihre "terroristischen Effekte" seien ohnegleichen. Die Auflösung der NATO sei deshalb auf die Tagesordnung der Friedenspolitik zu setzen, eine Reform des Bündnisses sei nicht mehr möglich.
Sehr akribisch legte Eckart Spoo dar, wie die Medien die Wahrheit entstellt und mit Greuelmärchen und Hetzkampagnen die öffentliche Meinung manipuliert haben. Ohne diese Manipulation und Stimmungsmache wäre der Krieg nicht möglich gewesen. Erich Schmidt-Eehnbohm wiederum brachte eine ausführliche Analyse der Rolle der Geheimdienste in diesem Krieg vor. Mittlerweile haben sich aus der Bundesrepublik 21 Persönlichkeiten zur Mitarbeit im europäischen Kuratorium bereit erklärt, darunter Rolf Gössner, Maria Mies, Elmar Schmähling, Ralph Hartmann.
Dennoch ist nicht klar, ob sich die Initiatoren zu einer gemeinsamen Abschlusserklärung finden. Der Verlauf des Hearings in Berlin machte auch deutlich, wo die Probleme liegen. Es fängt damit an, dass die Zerstörungen der NATO im Kosovo und die Leiden der albanischen Bevölkerung wie auch der Roma überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wurden. Sie sind schlicht nicht Gegenstand der Tribunals. Alle Anklagepunkte, die in Berlin vorgetragen wurden, drehten sich ausschließlich um Zerstörungen, die der serbischen Bevölkerung widerfahren ist.
Schließlich blieb es Ramsey Clark vorbehalten, in seinem Beitrag darauf hinzuweisen, dass die meisten Zerstörungen und Opfer im Kosovo anzutreffen sind und die Schäden in Prishtina viel höher sind als in irgendeinem anderen Landesteil. Er blieb der einzige. Es kamen auch keine kosovo-albanischen Anklagevertreter zu Wort. Indes stützte man sich auf Vertreter der Belgrader Regierung, die mit beredten Worten die Zerstörung serbisch-orthodoxer Kulturdenkmäler durch die Bombenangriffe anklagten, ohne mit einem Wort darauf einzugehen, dass ebendiese Regierung im Bosnienkrieg die Zerstörung der Nationalbibliothek von Sarajevo und zahlreicher anderer bosnischer Kulturdenkmäler zu verantworten hat.
Ein Abgeordneter der russischen Duma, dessen Parteizugehörigkeit nicht bekanntgegeben wurde, der jedoch im Auftrag einer parteiübergeifenden Untersuchungskommission zum NATO-Krieg in Jugoslawien sprach, ereiferte sich über den völkerrechtswidrigen Charakter des NATO-Kriegs - ohne mit einem Wort auf den völkerrechtswidrigen Charakter des Kriegs der russischen Regierung in Tschetschenien einzugehen (den das russische Parlament abgesegnet hat!).
Die Glaubwürdigkeit des Tribunals leidet unter solcher Blindheit. Zur Wahrheit, die man wiederherstellen will - und die dringend wiederhergestellt werden muss -, gehört eben nicht nur, was man sagt, sondern auch wer es sagt. Die Zielsetzung, die aus diesem Spektrum mit dem Tribunal verfolgt wird, bezieht sich nicht zufällig darauf, über eine völkerrechtliche Verurteilung der NATO Reparationszahlungen an die jugoslawische Bundesregierung zu erwirken, gegen die nichts einzuwenden wäre, wenn solche Zahlungen auch für die kosovarische Bevölkerung eingefordert würden. Der Ansatz ist in erster Linie ein rechtlicher und einer, der eine politische Unterstützung für Belgrad impliziert, während andere Tribunalteilnehmer in erster Linie eine Erschwerung und Ächtung der NATO und ihrer Kriegsstrategie im Auge haben.
In den kommenden Monaten folgen in Europa, USA und Kanada noch eine Vielzahl von Hearings, so dass man darauf hoffen darf, dass die politische Stoßrichtung des Tribunals noch korrigiert wird.
Angela Klein
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