Sozialistische Zeitung |
Nach jetziger Lesart des Grundgesetzes ist Frauen der Dienst in Kampfeinheiten der Bundeswehr verboten. Dagegen ist eine Klage bei
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird ein
Berufsverbot aufgrund des Geschlechts für unzulässig erklärt werden - ebenso wie das wegen der Hautfarbe oder der
sexuellen Orientierung.
Das Thema verursacht merkwürdigerweise einige Aufregung unter
Linken. Es gibt im Wesentlichen vier Einwände:
Eine Zustimmung zur Öffnung der Kampfeinheiten der Bundeswehr
für Frauen sei mit einer antimilitaristischen Grundhaltung nicht vereinbar.
Wer Frauen von Kampfeinheiten der Bundeswehr mit dem Argument
fernhalten will, man sei generell gegen Zwangsdienste und gegen jedwede militärische Option, hat das Problem nicht verstanden. Man
kann sehr wohl mit allen Kräften gegen den Krieg als Mittel der Durchsetzung von Interessen kämpfen und für Methoden
friedlicher Konfliktbeilegung eintreten und gleichzeitig dagegen sein, wenn Frauen nur aufgrund ihres Geschlechts Dinge verboten bleiben
sollen, die anderen Menschen erlaubt sind. Man kann sehr wohl den Ausstieg aus der Atomenergiegewinnung fordern und gleichzeitig
dafür streiten, dass Frauen einen gleichberechtigten Zugang zu allen Berufen, auch dem der Kernkraftwerkstechnikerin, bekommen.
Der Beruf sei mörderisch und niemand solle ihn ergreifen - weder
Männer noch Frauen.
Linke stehen militärischen Optionen generell ablehnend
gegenüber und folglich auch dem soldatischen Beruf. Aber das rechtfertigt keineswegs ein Berufsverbot für Frauen - solange es
Armeen gibt, gibt es keinen Grund, Frauen den Zugang zu verbieten. Würden Menschen mit dunkler Hautfarbe von bestimmten Berufen
ausgeschlossen, wäre scharfer Protest seitens der Linken sicher. Gilt der Grundsatz "Gleiche Rechte für alle" nicht
mehr, wenn es um Frauen geht?
Die Öffnung der Bundeswehr für Frauen könne
unerwünschte Folgen haben, so z.B. eine zusätzliche Legitimation der Armee oder eine Ausdehnung der Wehrpflicht auf Frauen.
Dieses Herangehen verrät, dass man "notfalls" Frauen
politisch in Sippenhaft zu nehmen bereit ist. Passt das vermutete Ergebnis in die eigenen politischen Zielvorstellungen, wird die universelle
Geltung der BürgerInnenrechte bejaht. Ist dies nicht sicher, wäre man auch schon mal bereit, die Rechte von Frauen zu beschneiden
bzw. eine bestehende Diskriminierung weiter hinzunehmen. Ein solches Denkmuster stellt den Gleichheitsgrundsatz - die Grundlage von
Demokratie und Menschenrechten überhaupt - zur Disposition und missbraucht Frauen als politische Manövriermasse.
Merkwürdig, dass auch Linke es mit den Rechten von Menschen nicht immer so genau nehmen, wenn es sich um Frauen handelt.
Der Zugang von Frauen zum Dienst mit der Waffe sei nicht
emanzipatorisch, sexuelle Belästigung sei nicht auszuschlie?en und gleiche Entwicklungschancen für Frauen seien nicht gegeben.
Abgesehen davon, dass man das wohl über die meisten Berufe sagen
könnte, ist es paternalistisch, die Zugangsrechte zu Berufen mit Verweis auf deren "Qualität" regeln zu wollen. Die
Entscheidungen von Frauen sind auch dann zu respektieren, wenn es nicht um den Schwangerschaftsabbruch, sondern um das Ergreifen eines -
wenn auch mörderischen - Berufs geht. Oder akzeptiert die Linke das Selbstbestimmungsrecht von Frauen nur, wenn es ihr politisch in
den Kram passt?
Im Übrigen belegen die Erfahrungen in Ländern, in denen
Frauen Zugang zu Kampfeinheiten haben, dass kaum etwas die unsäglichen Geschlechtsrollenstereotype so nachhaltig ins Wanken zu
bringen vermag, wie die Teilnahme von Frauen an einem Beruf, der wie kein anderer mit Männlichkeit und vermeintlich ausschlie?lich
"männlichen" Eigenschaften in Verbindung gebracht wird. Insofern kann die Berufswahl "Soldatin" durchaus ein
Beitrag zur Emanzipation von Frauen und Männern sein.
Die Frage des Zugangs von Frauen zum Dienst mit Waffen ist die
Nagelprobe auf die Akzeptanz der Unteilbarkeit von BürgerInnenrechten.
Christina Schenk
Europarichter entscheiden für den Waffendienst von Frauen und eine Mehrheit von Deutschen begrüßt laut Forsa-Institut
diese Entscheidung. Wahrscheinlich stehen Frauen in der Bundeswehr bald eine ganze Reihe von Positionen, Ausbildungsgängen und
Karrieremöglichkeiten offen. Ein Grund zum Jubel für Feministinnen? Sicher nicht! Zumindest dann nicht, wenn frau Feministin und
Antimilitaristin ist und wenn frau den Kontext dieser Entwicklung nicht ausblendet.
Die Debatte findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern im Rahmen einer
kompletten Umstrukturierung fast aller europäischer Heere. Der Trend geht weg von großen Massenheeren mit Wehrpflicht hin zu
professionellen, überall und jederzeit einsetzbaren kleineren Kampfverbänden. Sobald Frauen den "Dienst an der
Waffe" leisten dürfen, ist die nächste Prozesswelle absehbar: Die Klagen all der jungen Männer, die nicht verstehen,
dass sie ihren Wehrdienst leisten müssen und Frauen wegen ihres Geschlechts den Vorteil haben, dass sie von diesem Zwangsdienst nicht
betroffen sind. Über die dadurch immer wahrscheinlicher werdende Abschaffung werden sich nicht nur die antimilitaristischen
GegnerInnen von Zwangsdiensten freuen, sondern auch die Bundeswehrmodernisierer, denen die Wehrpflicht ohnehin längst als
lästiges und kostenintensives Relikt ein Dorn im Auge ist. Ein universal einsetzbares "modernes und effektives" Heer braucht
motivierte Menschen, Menschen, die ihren "Job" machen wollen. Dafür ist es letztlich völlig egal, ob es Männer
oder Frauen sind.
Armeen haben zu allen Zeiten - mit graduell unterschiedlicher
Ausprägung und unterschiedlichen Konsequenzen - letztlich nur deswegen funktioniert, weil sie Entmenschlichung zum Programm
erhoben. Die Entmenschlichung der Opfer als "Untermenschen", "Volksfeinde" oder moderner: "Weichziele"
geht einher mit der Entmenschlichung der TäterInnen durch die Ausschaltung von Emotionen, von Verantwortlichkeiten und die
Reduzierung von Individuen zu BefehlsempfängerInnen.
Dass Frauen nun auch zu Akteurinnen in diesem harten, grausamen System
von Entmenschlichung werden, verändert nichts an seiner Unmenschlichkeit. Da diese Grausamkeit aber traditionell mit Männern
und Männlichkeit assoziiert wird, schafft die Anwesenheit von Frauen in der Militärmaschinerie durchaus eine zumindest
oberflächliche Imageverbesserung.
Es stammt wohl aus der Mottenkiste anti-emanzipatorischer Polemik, dass
Frauenemanzipation dann erreicht ist, wenn Frauen all das tun (dürfen), was Männer auch tun. Emanzipatorische Politik muss nach
menschlichen, nach menschenwürdigen Bedingungen suchen für Frauen und Männer. Kampf und Krieg sind immer
unmenschlich und niemandem zuzumuten.
Verändern sich Geschlechterrollenstereotypen wirklich durch Frauen
in der Bundeswehr? Die Erfahrungen aus anderen Armeen mit Frauen in Kampfeinheiten sprechen keineswegs dafür. Einzelfälle
nach dem Motto "Ich kenne auch Frauen, die stark, autoritär, zielstrebig und rücksichtslos sind" führen in der
Regel nicht zu einem grundsätzlich veränderten Rollenverständnis und sind ungefähr so relevant für
Bewusstseinsänderungen wie der sprichwörtliche beste Freund, der Ausländer ist: "…aber die anderen…"
Wirkliche Veränderungen hängen - leider - von wesentlich grundlegenderen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab.
An den patriarchalischen Grundstrukturen von Armeen wird sich durch die
verstärkte Anwesenheit von Frauen nichts ändern. Der Militärapparat wird eine streng hierarchisches System bleiben, das
nur durch strikten Befehl und Gehorsam, durch Machtausübung und Unterwerfung funktioniert. Anpassen müssen sich allerdings die
Frauen, die in diesem System eine Funktion ausfüllen, sie müssen funktionieren "wie ein Mann" und "ihren Mann
stehen". An den Männerrollen in der Bundeswehr ändert sich dadurch nichts. Die einzig wirklich emanzipatorische Forderung
ist und bleibt die Abschaffung der Bundeswehr und die Abschaffung aller Zwangsdienste.
Wie frei sind die Frauen (und Männern), die Berufssoldatinnen und -
soldaten werden wollen, wirklich in ihrer Entscheidung? Gerade in den neuen Bundesländern erscheint die Bundeswehr für viele
Jugendliche als die einzige realistische Möglichkeit der Zukunfts- und Ausbildungsplanung.
Ist das zugrundeliegende Problem nun wirklich dadurch zu lösen,
dass Frauen hier die gleichen Möglichkeiten haben? Müssten nicht vielmehr dafür gesorgt werden, dass allen Jugendlichen
andere Alternativen offenstehen - in ausreichender Zahl? Sicher gibt es Menschen - Männer und Frauen -, die nicht aus einer Notlage
heraus zur Bundeswehr gehen wollen, sondern genau dieses Berufsbild suchen, weil ihnen Kämpfen, harte Ausbildung, Disziplin und
"Abenteuer" sehr erstrebenswert erscheint. Aber vielleicht ist unsere Gesellschaft sehr gut beraten, genau diesen Menschen andere
Angebote zu machen.
Niemand hat es klarer formuliert als Kurt Tucholsky in seiner Analyse des
Ersten Weltkriegs, worum es in Kriegen wirklich geht: "Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord
obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord.
Soldaten sind Mörder."
Wie "sauber" die Kriege, wie hehr die Ziele und wie
chirurgisch die Kriegsführung auch sein mögen, im Kern geht es doch immer um töten und sterben - ohne Unterscheidung von
jung und alt, von Mann und Frau, von "schuldig" und "unschuldig". Würde "Soldatinnen und Soldaten sind
Mörderinnen und Mörder" wirklich emanzipatorischer klingen als "Soldaten sind Mörder"?
Claudia Haydt