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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.23 vom 11.11.1999, Seite 14

Juttas Verschwörungstheorie

Natürlich darf jede da veröffentlichen, wo es ihr beliebt und sie sich den größten aufklärerischen Effekt verspricht. Aber wenn mensch - von der SoZ-Redaktion liebevoll genötigt - seit vier Wochen das Sex- und- Crime-Blatt Neue Revue vom Heinrich Bauer Verlag lesen (und leider auch kaufen!) muss, um die Serie von Jutta Ditfurth über die verräterische Rolle von Joschka Fischer am Niedergang der Grünen kritisch zu würdigen, dann drängt sich sofort die Frage auf: Warum dort?
Als Jutta Ditfurth noch Sprecherin der Grünen war, galt der Parteibeschluss: keine Beiträge und Interviews für Bild. Einer der damaligen Bild-Chefs war der heutige, neue Chefredakteur der Neuen Revue. Der ist angetreten, aus der Tittenpostille "einen neuen Stern zu machen". (Was für ein journalistisches Ziel!)
Erste Starautorin ist jetzt Jutta Ditfurth mit einer sechsteiligen Serie zum grünen Traum und dem eiskalten Verräter Joschka. "Im Stern", so Jutta zu ihrem Beitrag für den neuen Strahlepunkt am Medienhimmel,, "sind heute vermutlich mehr Aktfotos als in der Neuen Revue".
Wenn sich heute die "autonome" und sonstige besonders radikal sein wollende Linke versammelt, gehören die ParteigenossInnen von Jutta aus der Ökologischen Linken gern zu den Menschen, die Anwesenheits-, Schreib- und Fotografierverbote für Redakteure von Springer und Heinrich Bauer fordern bzw. unterstützen. Wir haben solch Gebaren immer für Unfug gehalten, aber dass die bekannteste Öko-Linke, Jutta, jetzt gleich zum Aushängeschild dieser Presse wird, das haben wir auch nicht gewollt.
So schreibt sie also neben Wolfgang Schäuble und Kurt Biedenkopf, neben dem "Planetenhoroskop" und der Tiersprechstunde, zwischen den Vorabdruckteilen des neuen, "letzten" Konsalik (bezeichnenderweise zum Lieblingsthema auch von Jutta, dem esoterischen Sektenkult) und natürlich eingerahmt von der aus der alten in die neue Neue Revue übernommen Aktfotoserie "Das Mädchen von nebenan". Die Bildunterschrift unter einer Frontalaufnahme einer dieser Nachbarinnen hat allerdings für fast alle traurigen Nebeneffekte bei der Lektüre der Ditfurth-Serie entschädigt: "Mein Piercing am Bauchnabel kriegt ja auch nicht jeder zu sehen."
Auch Juttas Abrechnung mit Fischer soll nicht jeder sehen dürfen, aber alle können. Nach dem Motto "Ich verrate dir jetzt ein Geheimnis" liefert sie eine so hübsch wie entsetzlich kolportierte Räubergeschichte, wie der Schläger, Säufer und ewige katholische Schwabe Joschka Fischer und Daniel Cohn- Bendit in einer von langer Hand geplanten Verschwörung und getrieben vom Frust gescheiterter "Spontis" die Macht in der Grünen Partei an sich rissen, "zehntausende Linker und Wertkonservativer" aus der Partei trieben und den grünen Traum von Grohnde und Brokdorf zerstört haben. Jedes Treffen in verrauchten Kneipen - die wie in schlechten Spielfilmen allesamt zu dubiosen Spielhöllen, Diskos und Nazi-Treffs "ver"enden - erscheint demnach von langer Hand geplant, die Helfer, "die Gang" oder "Bande" von Fischer handeln nur als willenlose Marionetten.
Fischer, eine Mischung aus Stalin und den deutschen Nachkriegskultmördern Bartsch und Honka, der gerne eine Frau in den Bauch treten mag, mit geklauten Büchern Geschäfte machte und aus ungeklärten Gründen im Knast und merkwürdig schnell wieder draußen war, hat sich trotz all dieser schillernden Eigenschaften bemerkenswert konsequent erst in Hessen, dann bei den Grünen im Bund "an die Macht geputscht".
Oh Jutta! Seit deinem Kolportagekrimi Blavatzkys Kinder wissen alle, dass du von einer gnadenlosen Vorliebe geplagt wirst, die Welt in gute und schlechte Menschen einzuteilen, Zwischentöne oder gar Dialektik sind deine Sache nicht. Aber was im Krimi noch als schlechte Schreibe durchgeht, wird bei einer Analyse realer historischer Vorgänge zu einer peinlichen Verstärkung gerade der Kräfte, die du aus gutem Zorn angreifen willst.
Den Niedergang der Grünen auf die persönliche Legende eines Mannes zu reduzieren, poliert genau das Denkmal, das die bürgerlichen Gazetten vom Sponti-Joschka über den Turnschuhminister bis zum Kriegsherrn malen.
Die Geschichte der Grünen ist die Geschichte des ersten großen Versuchs der Nachkriegslinken, Massenpolitik zu betreiben. Der Einstiegspreis dafür war schon vor Joschka Fischer und unabhängig von ihm eine tiefe Bereitschaft tausender Linker - inkl. Jutta Ditfurth und vielen anderen bekannten Gesichtern - zu schwerwiegenden taktischen und politisch-strategischen Kompromissen mit dem Mainstream, mit der Sozialdemokratie und sogar der herrschenden Klasse.
Dass die Linke bei einem solchen Großversuch unter die Räder kommen konnte, war von Anbeginn klar. Die Linke, und ganz besonders die angeblich so radikale Gruppierung um Jutta Ditfurth, hat sich zu oft als unerfahren, gleichzeitig sektiererisch und opportunistisch, als zu wenig strategisch und oft auch nur als zu schwach erwiesen, um die Konsequenzen des entrichteten Anfangspreises auffangen und korrigieren zu können.
Dazu kamen bedeutende gesellschaftliche Entwicklungen, die keiner so vorhersehen konnte (Untergang des Ost-Stalinismus zum Beispiel). All dies führte zur realen Geschichte der Grünen. Die Rolle und Bedeutung eines Joschka Fischer sind dabei nicht von achtrangiger (wie Tucholsky sagen würde), aber doch untergeordneter Bedeutung. Die Rolle von Jutta Ditfurth "und ihrer Bande" im Übrigen auch.
Thies Gleiss
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