Sozialistische Zeitung |
Natürlich darf jede da veröffentlichen, wo es ihr beliebt und sie sich den größten
aufklärerischen Effekt verspricht. Aber wenn mensch - von der SoZ-Redaktion liebevoll genötigt - seit vier Wochen das Sex- und-
Crime-Blatt Neue Revue vom Heinrich Bauer Verlag lesen (und leider auch kaufen!) muss, um die Serie von Jutta Ditfurth über die
verräterische Rolle von Joschka Fischer am Niedergang der Grünen kritisch zu würdigen, dann drängt sich sofort die
Frage auf: Warum dort?
Als Jutta Ditfurth noch Sprecherin der Grünen war, galt der
Parteibeschluss: keine Beiträge und Interviews für Bild. Einer der damaligen Bild-Chefs war der heutige, neue Chefredakteur der
Neuen Revue. Der ist angetreten, aus der Tittenpostille "einen neuen Stern zu machen". (Was für ein journalistisches Ziel!)
Erste Starautorin ist jetzt Jutta Ditfurth mit einer sechsteiligen Serie zum
grünen Traum und dem eiskalten Verräter Joschka. "Im Stern", so Jutta zu ihrem Beitrag für den neuen
Strahlepunkt am Medienhimmel,, "sind heute vermutlich mehr Aktfotos als in der Neuen Revue".
Wenn sich heute die "autonome" und sonstige besonders radikal
sein wollende Linke versammelt, gehören die ParteigenossInnen von Jutta aus der Ökologischen Linken gern zu den Menschen, die
Anwesenheits-, Schreib- und Fotografierverbote für Redakteure von Springer und Heinrich Bauer fordern bzw. unterstützen. Wir
haben solch Gebaren immer für Unfug gehalten, aber dass die bekannteste Öko-Linke, Jutta, jetzt gleich zum Aushängeschild
dieser Presse wird, das haben wir auch nicht gewollt.
So schreibt sie also neben Wolfgang Schäuble und Kurt Biedenkopf,
neben dem "Planetenhoroskop" und der Tiersprechstunde, zwischen den Vorabdruckteilen des neuen, "letzten" Konsalik
(bezeichnenderweise zum Lieblingsthema auch von Jutta, dem esoterischen Sektenkult) und natürlich eingerahmt von der aus der alten in
die neue Neue Revue übernommen Aktfotoserie "Das Mädchen von nebenan". Die Bildunterschrift unter einer
Frontalaufnahme einer dieser Nachbarinnen hat allerdings für fast alle traurigen Nebeneffekte bei der Lektüre der Ditfurth-Serie
entschädigt: "Mein Piercing am Bauchnabel kriegt ja auch nicht jeder zu sehen."
Auch Juttas Abrechnung mit Fischer soll nicht jeder sehen dürfen,
aber alle können. Nach dem Motto "Ich verrate dir jetzt ein Geheimnis" liefert sie eine so hübsch wie entsetzlich
kolportierte Räubergeschichte, wie der Schläger, Säufer und ewige katholische Schwabe Joschka Fischer und Daniel Cohn-
Bendit in einer von langer Hand geplanten Verschwörung und getrieben vom Frust gescheiterter "Spontis" die Macht in der
Grünen Partei an sich rissen, "zehntausende Linker und Wertkonservativer" aus der Partei trieben und den grünen Traum
von Grohnde und Brokdorf zerstört haben. Jedes Treffen in verrauchten Kneipen - die wie in schlechten Spielfilmen allesamt zu dubiosen
Spielhöllen, Diskos und Nazi-Treffs "ver"enden - erscheint demnach von langer Hand geplant, die Helfer, "die
Gang" oder "Bande" von Fischer handeln nur als willenlose Marionetten.
Fischer, eine Mischung aus Stalin und den deutschen
Nachkriegskultmördern Bartsch und Honka, der gerne eine Frau in den Bauch treten mag, mit geklauten Büchern Geschäfte
machte und aus ungeklärten Gründen im Knast und merkwürdig schnell wieder draußen war, hat sich trotz all dieser
schillernden Eigenschaften bemerkenswert konsequent erst in Hessen, dann bei den Grünen im Bund "an die Macht geputscht".
Oh Jutta! Seit deinem Kolportagekrimi Blavatzkys Kinder wissen alle, dass
du von einer gnadenlosen Vorliebe geplagt wirst, die Welt in gute und schlechte Menschen einzuteilen, Zwischentöne oder gar Dialektik
sind deine Sache nicht. Aber was im Krimi noch als schlechte Schreibe durchgeht, wird bei einer Analyse realer historischer Vorgänge
zu einer peinlichen Verstärkung gerade der Kräfte, die du aus gutem Zorn angreifen willst.
Den Niedergang der Grünen auf die persönliche Legende eines
Mannes zu reduzieren, poliert genau das Denkmal, das die bürgerlichen Gazetten vom Sponti-Joschka über den Turnschuhminister
bis zum Kriegsherrn malen.
Die Geschichte der Grünen ist die Geschichte des ersten
großen Versuchs der Nachkriegslinken, Massenpolitik zu betreiben. Der Einstiegspreis dafür war schon vor Joschka Fischer und
unabhängig von ihm eine tiefe Bereitschaft tausender Linker - inkl. Jutta Ditfurth und vielen anderen bekannten Gesichtern - zu
schwerwiegenden taktischen und politisch-strategischen Kompromissen mit dem Mainstream, mit der Sozialdemokratie und sogar der
herrschenden Klasse.
Dass die Linke bei einem solchen Großversuch unter die Räder
kommen konnte, war von Anbeginn klar. Die Linke, und ganz besonders die angeblich so radikale Gruppierung um Jutta Ditfurth, hat sich zu oft
als unerfahren, gleichzeitig sektiererisch und opportunistisch, als zu wenig strategisch und oft auch nur als zu schwach erwiesen, um die
Konsequenzen des entrichteten Anfangspreises auffangen und korrigieren zu können.
Dazu kamen bedeutende gesellschaftliche Entwicklungen, die keiner so
vorhersehen konnte (Untergang des Ost-Stalinismus zum Beispiel). All dies führte zur realen Geschichte der Grünen. Die Rolle und
Bedeutung eines Joschka Fischer sind dabei nicht von achtrangiger (wie Tucholsky sagen würde), aber doch untergeordneter Bedeutung.
Die Rolle von Jutta Ditfurth "und ihrer Bande" im Übrigen auch.
Thies Gleiss
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