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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.23 vom 11.11.1999, Seite 15

Der Autor als Geschichtslehrer

Manlio Argueta, Cuzcatlan. Am Meer des Südens, Stuttgart (Schmetterling-Verlag) 1999.

Im Oktober dieses Jahres erschien die deutsche Übersetzung von Manlio Arguetas Buch "Cuzcatlan. Am Meer des Südens". Die spanische Originalversion erschien bereits 1986. Der Autor befand sich vom 16. bis zum 26.Oktober 1999 auf einer Leserundreise in der BRD, bei der er auch in Köln Station machte. Das bot dem Verfasser dieses Artikels Gelegenheit zu einem Gespräch mit ihm.
Manlio Argueta wurde 1935 in San Miguel im Osten El Salvadors geboren. Während seines Studiums in den 50er Jahren schloss er sich einem politisch und sozial aktiven Literatenkreis an. Wegen seines politischen Engagements, das den Militärregimes El Salvadors ein Dorn im Auge war, lebte er von 1972 bis 1992 in Costa Rica im Exil.
Argueta beschreibt in seinem Buch gewisse bis heute unveränderte Elemente der bäuerlichen Gedankenwelt El Salvadors. Dazu gehören bestimmte Bräuche, die spezielle Form des ländlichen salvadorianischen Katholizismus, Aberglauben, das Verhältnis zur Natur und zu den angebauten Früchten, die Familie und - nicht zuletzt - das Bewusstsein der Bäuerinnen und Bauern, ausgebeutet zu werden.
Neben der Beschreibung dieser eher statischen Elemente bietet das Buch aber auch eine historische Erinnerung von El Salvador. Diese wird dargeboten anhand der Lebensläufe der Angehörigen der Kleinbauernfamilie Martinez über fünf Generationen. Die Erinnerung beginnt mit den brutalen Massakern 1932, mit der die Regierung El Salvadors einen Aufstandsversuch der ausgebeuteten Kleinbauern beantwortete und denen etwa 30.000 Menschen zum Opfer fielen. Sie endet im Buch 1981, kurz nach dem Ausbruch des letzten Bürgerkriegs.
Argueta ging im Gespräch auch darauf ein, was sich in El Salvador seit 1986 - dem Jahr der Ersterscheinung des Buches - verändert hat. Die Salvadorianer seien heute offener und flexibler. Sie seien sich ihrer Rechte eher bewusst. Insgesamt habe sich der Horizont auch der ländlichen Bevölkerung erweitert. Das wirke sich vor allem in verstärkter Migration aus. Viele vor allem junge Leute, die ihre Rechte in El Salvador zu sehr beschnitten oder sonst keine Perspektive mehr sehen, wandern nach Nordamerika aus.
Argueta sieht darin ein grundsätzliches politisches Problem im heutigen El Salvador. Die Menschen suchten die Lösung politischer und sozialer Probleme nicht mehr in der solidarischen Organisierung und Aktion, sondern zunehmend in individualistischen Antworten, vor allem in der Auswanderung. Dadurch gehen dem Land die dynamischsten und flexibelsten Menschen verloren, die Probleme vor Ort bleiben ungelöst. Zu Beginn des Krieges (1980) herrschte Aufbruchstimmung. Viele sahen im Kampf der Befreiungsbewegung FMLN eine Perspektive zur Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse. Der Friedensschluss 1992 beendete zwar den Krieg, beseitigte aber nicht die Kriegsursachen. Noch heute herrscht krasse soziale Ungerechtigkeit und die materiellen Lebensumstände der großen Mehrheit der Bevölkerung hat sich nicht verbessert. Die Politiker, einschließlich der zur sozialdemokratischen Partei mutierten ehemaligen Befreiungsbewegung FMLN, werden als korrupt empfunden. Neue linke Organisierungsansätze gibt es kaum. Es herrscht eine weit verbreitete Desillusionierung über die Möglichkeiten politischer Aktion.
Lediglich im Bereich der individuellen Menschenrechte gibt es seit 1992 gewisse Verbesserungen. Die Freiheit der politischen Betätigung in unterschiedlichen Parteien und die Meinungsfreiheit - eingeschränkt durch ein Massenmedienmonopol - sind weitgehend garantiert. Auch Folter, Verschwindenlassen und politischer Mord sind selten geworden. Die 1992 neu geschaffene Zivile Nationalpolizei (PNC) nimmt aber nach wie vor willkürliche Verhaftungen vor und misshandelt ihre Gefangenen. Das hängt damit zusammen, dass mehr Kader der alten Polizeikräfte in die neue Polizei geschleust wurden, als im Friedensvertrag von 1992 vereinbart war. Immerhin besteht die neue Polizei aber zu 25% aus ehemaligen FMLN- Kämpfern. Nach Ansicht von Argueta sind Teile der PNC in die "unpolitische" Kriminalität (Raubüberfälle, Mord, Drogenhandel etc.), die seit 1992 explosionsartig zugenommen hat, verstrickt. Organisierte Gegenwehr gegen Polizeiübergriffe gibt es kaum, da Menschenrechtsorganisationen die gleichen Ermüdungserscheinungen zeigen wie andere soziale Bewegungen.
Die Rolle der UNO im Friedensprozess 1992-1997 wird von Argueta eher positiv eingeschätzt. Die Kriegsursachen beseitigte sie nicht. Bei der Landreform und der Aufstellung der neuen Sicherheitskräfte verhinderte sie aber die schlimmsten Missbräuche. Die UNO konnte also gewisse humanitäre Aufgaben erfüllen, sie konnte aber keine unabhängige politische Funktion ausüben.
Die Perspektiven für El Salvador schätzt Argueta eher pessimistisch ein, er sieht kaum Ansätze für einen erneuten politischen Aufbruch.
Andreas Bodden
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