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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.25 vom 09.12.1999, Seite 2

WTO-Gipfel

Heiße Tage in Seattle

Eine multilaterale Totgeburt in Seattle" titelte die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) zum Scheitern der großspurig als "Millenniumsrunde" angekündigten Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO). Nicht einmal ein Fahrplan für die vorgesehene dreijährige Verhandlungsrunde konnten die Delegierten der 134 Mitgliedstaaten erstellen. Die Gegner der WTO freuten sich hingegen über das "Gewicht des öffentlichen Widerstands". Einige triumphierten etwas voreilig über den "Todesstoß für den freien Welthandel". Die NZZ spuckt als eines der führenden Wirtschaftsblätter Europas Gift und Galle, warnt vor dem "wachsenden Einfluss der NGOs", spricht von "selbsternannten Weltverbesserern" und bemüht angebliche "Fakten", die auch die "hartgesottensten Gegner der Freihandelstheorie nicht unter den Teppich kehren können": das Wirtschaftswachstum der Nachkriegszeit, das nach Ansicht der NZZ nicht ohne "sukzessive Liberalisierungen des grenzüberschreitenden Handels" möglich gewesen wäre.
Etwas moderater gibt sich die Financial Times. Sie hebt zwar auch einen "PR-Sieg einflussreicher Freihandelsgegner" hervor, betont aber gleichzeitig die innenpolitischen Rücksichten, die vor allem den Spielraum der US-amerikanische Verhandlungsdelegation eingeschränkt hätten.
Tatsächlich hat Präsident Clinton in seiner Seattle-Rede am 1.Dezember das Fass zum Überlaufen gebracht. Mit Blick auf die gewerkschaftliche Wählerklientel der Demokratischen Partei, die zur selben Zeit gegen "Billigimporte aus dem Ausland" auf den Straßen Seattles demonstrierte, insistierte er auf der Einführung von sanktionsfähigen Sozialklauseln. Das brachte ihm zwar ein Schulterklopfen des Präsidenten des Gewerkschaftsdachverbands AFL-CIO, John Sweeney, ein, der bereits einen Monat zuvor gemeinsam mit Wirtschaftsbossen eine Erklärung zur Unterstützung der US-amerikanischen Verhandlungsposition unterzeichnete. Doch die Vertreter zahlreicher Regierungen aus den Ländern der Dritten Welt fühlten sich hintergangen, denn sie hatten schon lange vor dem Ministertreffen klar ihre Ablehnung von Sozialklauseln in der WTO deutlich gemacht, von denen sie einen neuen Protektionismus befürchten.
Während die Hitze auf der Straße während der letzten beiden Tage etwas abkühlte, stiegen die Temperaturen im Kongressgebäude. Der WTO-Generaldirektor Mike Moore wurde ausgepfiffen und sogar die mit den USA in der einflussreichen Cairns-Gruppe vereinigten Länder kündigten Clinton größtenteils ihre Gefolgschaft auf.
Die US-Handelsbeauftragte Charlene Barshefsky goss anschließend noch Öl ins Feuer, indem sie Sonderausschüsse einrichtete, die in kleinem Kreise die brennendsten Themen verhandeln sollten. Damit verstoße Barshefsky in bester WTO-Tradition gegen das Prinzip der Transparenz, beklagten sich Delegierte aus Drittweltländern, die zum Teil stundenlang auf Einlass in die Sonderberatungen hatten warten müssen.
Auch das Verhältnis zwischen EU und USA bleibt nach wie vor zerstritten. Beim Thema Agrarsubventionen konnte keine Einigung erzielt werden. Die EU besteht zudem weiterhin auf einer breit angelegten Tagesordnung, die auch Investitionen und öffentliches Beschaffungswesen umfasst. Die Financial Times fordert EU und USA in einem Fünf-Punkte-Programm auf, ihre Streitigkeiten möglichst schnell beizulegen. Am besten solle die EU, die in der Frage des Bananenhandels und der hormonbehandelten Rindfleischs die falsche Entscheidung getroffen habe, ädequate Kompensationszahlungen tätigen, wenn sie auch künftig nicht auf die Vereinbarkeit ihrer Politik mit den WTO-Regeln achte.
Doch das ist nicht die einzige Hürde, die die WTO künftig überwinden muss. Mit dem Scheitern der Verhandlungen hat sich die Legitimationskrise ihrer Politik vertieft. Da helfen auch keine Appelle, dass Regierungen und Wirtschaft den Freihandel auch auf "moralischer Ebene" verankern müssen.
Nicht mit Moral, sondern mit dem Kalkül der Macht wird der weitere Fahrplan der WTO bestimmt. "Wie auch immer, bisher ist kein Zeitpunkt für ein resümierendes Treffen in Genf festgelegt worden … Viele Länder sehen wenig Hoffnung für einen Fortschritt vor den us-amerikanischen Präsidentschaftswahlen kommenden November", erklärt Moore etwas resigniert. Dann werden die Karten neu gemischt.
Gerhard Klas
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