Sozialistische Zeitung |
Im April dieses Jahres zählten die SPD-Abgeordneten Gernot Erler und Michael Müller die
Erfolge der "rot"-grünen Koalition so auf: "Die neue Regierung legte mit einem ehrgeizigen 100-Tage-Programm los.
Rasch, pragmatisch und fast buchhalterisch wurden die Wahlversprechen Punkt für Punkt abgearbeitet. Einstieg in die Ökosteuer,
Erhöhung des Kindergelds, Rücknahme sozialer Demontagen, modernes Staatsbürgerrecht, erste Stufe einer umfassenden
Steuerreform, Beginn von Neuordnung von Renten- und Gesundheitsversorgung. Mehr war in der kurzen Zeit kaum möglich."
"Aber komisch", stellten Erler und Müller fest, "irgendwie hat es doch nicht funktioniert. Nicht die Erfolge, sondern
handwerkliche Fehler, mangelnde Geschlossenheit, ‚Nachbesserungen, bestimmten das Bild."
Würde aber die Bundesregierung nur daran gemessen, dass
Bundeskanzler Schröder versprach, alles werde zwar besser, aber nichts anders werden, wäre der Liebesentzug von so vielen
Wählerinnen und Wählern für sie unbegreiflich.
Nehmen wir die "Erfolgsstory 630-Mark-Gesetz", wie Metall
(Dezember 1999) sie schildert: "Mit einer beispiellosen Hetzkampagne hatten Unternehmer und Medien gegen die
‚Sozialstaatsmafia in der Regierung, insbesondere gegen Arbeitsminister Riester, gewettert. Der Zusammenbruch von
Dienstleistungsbranchen und das Aussterben von Zeitungsträgern wurden vorhergesagt, wenn die 630-Mark-Jobs
sozialversicherungspflichtig werden sollten."
Vom Inkrafttreten des Gesetzes im April bis Ende September wurden - nach
Aussagen des Verbands Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) rund 4 Millionen geringfügige
Beschäftigungsverhältnisse korrekt zur Renten- und Krankenversicherung angemeldet. Alle Unkenrufe, dass diese Jobs spurlos
verschwinden würden, waren irreführend. "Früher war es für Einzelhändler, Reinigungsdienste, Medien
und Gastronomie ein gutes Geschäft, feste Arbeitsplätze in Minijobs zu teilen. Denn sie sparten so die Sozialbeiträge und
wälzten die Lohnsteuer meist auf geringfügig Beschäftigte ab. Auch hier zeigt das Gesetz Wirkung. 13% der Betriebe haben
Minijobs wieder in sozialversicherungspflichtige Voll- und Teilzeitstellen verwandelt", berichtet Metall.
Auch die 2 Milliarden Mark, die Unternehmer dafür bekommen, dass
sie für Jugendliche Ausbildungs- und Arbeitsplätze schaffen - 100.000 hat Bundeskanzler Schröder versprochen - haben eine
gewisse Wirkung. Das Schlechtwettergeld für Bauarbeiter ist zwar nicht in früherem Umfang wiederhergestellt, aber es ist, wenn
auch teilweise auf Kosten der Beschäftigten, wieder vorhanden.
Der IG-Metall-Vorsitzende Zwickel weist deshalb zurecht darauf hin, dass
"wenn heute alle von der Bundesregierung enttäuscht sind, obwohl die SPD ihre konkreten Wahlversprechen ja in der Tat
weitgehend erfüllt hat", das daran liege, dass "über Ziele und Grundwerte dieser Gesellschaft längst keine
Einigkeit mehr besteht. Soziale Gerechtigkeit ist eben mehr als 20 Mark Kindergelderhöhung."
Zwickel sieht wenig Hoffnung auf Änderung. Denn der 25-seitige
Leitantrag zum kommenden SPD-Parteitag zähle zwar detailliert konkrete wirtschaftspolitische Maßnahmen auf. Aber von Zielen
und Werten sei nicht die Rede. "Die heutige Verteilung von Einkommen und Belastungen stellt er nicht ein einziges Mal in Frage."
Da helfe das Bekenntnis zur sozialen Gerechtigkeit nur wenig.
Auch das Versprechen, Politik wieder handlungsfähig zu machen,
bleibe hohl, solange nicht wenigstens gefragt werde, ob und wo man dafür Handlungsspielräume der Wirtschaft beschneiden
müsse. "Wer sich hier mit Leerformeln begnügt, liefert die Politik dem Terror der Ökonomie aus. Wir wollen das nicht!
Für uns ist Zukunft keine Leerformel … Unser Verständnis von Gerechtigkeit verlangt eine Abgabe auf große
Vermögen, die in zukunftssichere Arbeitsplätze investiert wird", schreibt Zwickel in seinem Leitartikel. Er lade "auch
die SPD" herzlich zu einer offenen Debatte darüber ein, "welchen Weg diese Gesellschaft gehen will".
Nun mag man mit Zwickel über vieles streiten. Aber er hat hier der
"Linken", die bei der Erfüllung "konkreter Wahlversprechen" der Regierung meistens nur darüber diskutiert,
wie weit sie hinter den in sie gesetzten Erwartungen zurückgeblieben ist, eine wichtige Lehre erteilt. Die grundsätzliche Debatte
muss darüber geführt werden, wie verhindert werden kann, dass die Politik dem "Terror der Ökonomie"
ausgesetzt wird.
Gewiss werden wir hier auf Grenzen stoßen, die
"systemimmanent" kaum durchbrochen werden können. Aber es genügt nicht, wenn dies zum
"Geheimwissen" einer politischen oder gewerkschaftlichen "Elite" gehört. Nur wenn sehr viele Menschen diese
Erfahrungen selbst gemacht haben und bereit sind, entsprechend zu handeln, können wir diese "Systemgrenze" mit ihnen
zusammen überschreiten.
Jakob Moneta
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04