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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.25 vom 09.12.1999, Seite 6

Neuer Internationalismus gefragt

Nestlé-Belegschaften in der BRD wehren sich

Mit der Ruhe im Nestlé-Konzern ist es vorbei: Am 5.November demonstrierten rund 1500 Beschäftigte vor der Deutschlandzentrale in Frankfurt am Main gegen die von der Konzernleitung geplanten Werksschließungen, Umstruktrierungen und Entlassungspläne.

Die Konzernleitung begründet die geplanten Schritte mit dem harten internationalen Konkurrenzkampf und dem Preisdruck, den der Handel auf die Nahrungsmittelindustrie ausübt. Einer der Gewinner im Kampf um Marktanteile und steigende Profite ist jedoch gerade der Schweizer Nestlé-Konzern.
Nestlé produziert weltweit in mehr als 500 Fabriken in 81 Ländern. Insgesamt bietet der Konzern über 8500 Produkte an. Zur Angebotspalette des größten Nahrungsmittelkonzerns der Welt gehören neben Fertignahrung und Babyprodukten auch Kliniknahrung, Kosmetika, Pharmazeutika, Molkereiprodukte, Süßwaren, Getränke, Hundefutter…
1998 betrug der Umsatz von Nestlé 72 Milliarden Schweizer Franken. Der Konzern erzielte einen Gewinn von 4,29 Milliarden Franken. Für 1999 erwartet er nochmals eine Gewinnsteigerung. Die Nestlé-Aktionäre freuen sich bereits auf diese erneute Verbesserung ihrer Rendite.
Gerade weil Nestlé mit großen Profitmargen arbeitet, wurde jetzt beschlossen, noch mehr rauszuholen. Mit weniger Beschäftigten an weniger Standorten bei gleicher bzw. höherer Produktivität soll eine weitere Gewinnsteigerung erreicht werden. Bei einer solchen Geschäftsstrategie werden die Menschen, die den Reichtum erwirtschaften, und deren Arbeitsplätze zur reinen Manövriermasse degradiert.
Die multinationalen Konzerne befinden sich derzeit im Fusionsfieber. In allen Branchen sind dadurch Tausende von Arbeitsplätzen bedroht. Für die Beschäftigten wird auch in der Praxis immer deutlicher, dass die Formel "höhere Gewinne = sichere Arbeitsplätze" eine Täuschung ist. Die meisten Konzerne melden fortwährend Rekordgewinne und kündigen gleichzeitig Massenentlassungen an.

Wir sitzen nicht in einem Boot
Der Aufsichtsrat von Nestlé-Deutschland hat beschlossen, das Thomy-Werk in Karlsruhe mit 220 Beschäftigten stillzulegen bzw. zu verkaufen und bei Maggi in Singen 380 Arbeitsplätze abzubauen. In der Konzernverwaltung stehen 300 Arbeitsplätze auf der Kippe.
Angesichts der derzeit bei Nestlé laufenden Umstrukturierungen und Verlagerungen der Produktion befürchten die Beschäftigten, dass dies nur der Einstieg in weitere Rationalisierungsmaßnahmen sein wird.
In der BRD geht es Nestlé derzeit vor allem darum, das Arbeitsmodell "365 Tage pro Jahr x 24 Stunden pro Tag" durchzusetzen. Aufgrund der bisherigen betrieblichen Auseinandersetzungen vermuten die Betriebsräte von Maggi-Singen und Thomy-Karlsruhe, dass Nestlé die vergleichsweise guten Tarifvereinbarungen in Baden-Württemberg sabotieren will, in denen bisher weder der Samstag noch der Sonntag Regelarbeitstage sind. Mit der Androhung von Betriebsschließungen und Massenkündigungen sollen die Belegschaften erpresst werden, schlechteren Arbeitsbedingungen zuzustimmen.
Die Kolleginnen und Kollegen der betroffenen Betriebe sind bisher jedoch nicht bereit, den Erpressungen nachzugeben und Arbeitsplatzabbau einfach hinzunehmen; sie haben Widerstand angekündigt.
Die Beschäftigten sind vor allem auch deshalb "sauer", weil sie sich in den zurückliegenden Jahren immer wieder auf Absprachen in der Ideologie des "Bündnisses für Arbeit" eingelassen haben - mit sehr einseitigen Auswirkungen. Im Glauben, dadurch Arbeitsplätze langfristig zu sichern, wurde auf bisher gewährte Leistungen verzichtet. Es ging dabei um Zugeständnisse in Millionenhöhe, zu Lasten der Beschäftigten. In Karlsruhe wie auch in Singen sind in den letzten Jahren in erheblichem Maße gewerbliche Arbeitsplätze weggefallen.
Vor diesem Hintergrund hat außerdem die Stadt Singen z.B. für Maggi erhebliche finanzielle Vorleistungen erbracht, um die Arbeitsplätze am Standort Singen zu sichern. Lohnverzicht und Subventionen haben jedoch nur ein zusätzliches Zubrot für die Aktionäre ergeben. Arbeitsplätze waren damit nicht zu sichern.

Spaltungslinien
Die Widerstandsbereitschaft der betroffenen Kolleginnen und Kollegen hat die Konzernleitung offensichtlich überrascht. Auf der Führungsebene hat sie sich durch eine flexible Strategie des "Teile und herrsche" der unerwarteten Situation bereits angepasst. Bei Maggi in Singen soll der Widerstand durch stufenweise Entlassungen geschwächt werden. Zunächst sind "nur" 107 Entlassungen vorgesehen. In Karlsruhe kalkuliert man nun auch mit einer scheibchenweisen Zerstückelung des Werks bzw. der Verlagerung der Produktion in andere Thomy-Werke.
NGG und Beschäftigte wollen verhindern, dass auch nur eine Schraube gelockert wird, und haben entsprechende Kampfmaßnahmen vorbereitet. Der Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze wird jedoch nur dann erfolgreich sein können, wenn sich die Belegschaften der verschiedenen Maggi- oder Thomy-Werke nicht auseinanderdividieren lassen, und wenn es gelingt, dem internationalen Konzern auch mit internationaler Solidarität im Kampf gegen die Pläne der Konzernleitung zu begegnen.
In Karlsruhe wie in Singen haben sich Solidaritätskomitees zur Unterstützung der Belegschaften um den Erhalt der Arbeitsplätze gebildet. In der Gründungserklärung des Solidaritätskomitees "SOS Thomy" heißt es u.a.:
"Nicht Sozialpläne sind gefordert, sondern das aktive Eintreten für den Erhalt von Arbeitsplätzen. Deshalb haben wir uns entschlossen, in Abstimmung mit dem Betriebsrat und der NGG mit unterschiedlichen Aktionsformen und Eskalationsstufen den öffentlichen Druck auf Thomy und den Nestlé-Konzern zu erhöhen, um die Vernichtung von Arbeitsplätzen zu verhindern. Wir wollen uns dafür einsetzen, dass die ArbeitnehmerInnen in allen Standorten des Nestlé-Konzerns solidarisch sind und gemeinsam für den Erhalt der Arbeitsplätze kämpfen."

Viele Gründe, gegen Nestlé aktiv zu werden
Nestlé ist in exemplarisches Beispiel, wie ein Großkonzern handelt und Gewinnmaximierung über den Menschen stellt, im wahrsten Sinne des Wortes für den Erhalt der Ausbeutungsstrukturen auch über Leichen geht.
1. Der Nestlé-Konzern ist stets auf der Seite der Hardliner, wenn es um die Unterdrückung von Protesten gegen die kapitalistische Weltordnung und Arbeiterkämpfe geht. Die Herrschenden lieben es nicht, wenn ihre Ausbeutungsstrategien öffentlich gemacht werden.
Als die Welthandelsorganisation WTO im Mai 1998 in Genf ihre zweite Ministerialkonferenz veranstaltete, fanden sich allein in Genf 8000 DemonstrantInnen ein - weltweit beteiligten sich zehntausende am Protest gegen die WTO und die bestehenden Ausbeutungs- und Machtverhältnisse.
Als sich im September 1998 die UN-VertreterInnen und Topmanager von Konzernen zum "Geneva-Business-Dialog" trafen, forderte vor allem Helmut Maucher, Nestlé-Verwaltungspräsident und Präsident der Internationalen Handelskammer ICC-WBO, die jeweiligen Staatsregierungen auf, ihre polizeilichen Aufgaben gegen die Protestierenden wahrzunehmen (Seattle wurde trotzdem für die WTO-Gegner ein Erfolg).
Auch sonst sind Vertreter des Nestlé-Konzerns nicht zimperlich, Polizei und Militär gegen Arbeiterproteste und Streiks einsetzen zu lassen, wie z.B. mehrfach auf den Philippinen geschehen.
2. Der Nestlé-Konzern spielt außerdem eine führende Rolle bei dem Versuch, genmanipulierte Lebensmittel auf den deutschen und internationalen Markt zu drücken. Nestlé verkauft zunehmend Lebensmittel mit gentechnisch veränderten Bestandteilen. So muss z.B. auch bei Produkten von Maggi und Thomy mit Verwendung von Eiweiß aus genmanipuliertem Soja/Mais gerechnet werden.
3. Nach Angaben der UNESCO leben weltweit fast 1,3 Milliarden Menschen ohne ausreichende Trinkwasserversorgung. Der Preis für einwandfreies Wasser hat sich in diesem Jahrhundert versiebenfacht.
In weiser Vorausschau dieser Entwicklung begann Nestlé frühzeitig, sich in den Bereich Wasser einzukaufen. Im Bereich der Privatisierung öffentlicher Quellen durch transnationale Lebensmittelkonzerne gilt der Nestlé-Konzern als Marktführer.
Angesichts des ansteigenden Trinkwassermangels auf der Erde werden die kommenden Kriege nicht mehr nur um das Öl, sondern auch um Trinkwasser geführt werden, wie zunehmend auch staatliche Institutionen zu bedenken geben. Die Öl-Multis werden durch "Wasser-Multis" Konkurrenz bekommen. Sehr vorausschauend, wer sich rechtzeitig Besitzrechte an Quellen sichert. Nestlé ist jedenfalls dabei.
4. Aufgrund seiner Vermarktungsstrategien bei Babynahrung in der Dritten Welt ist der Nestlé-Konzern bereits seit Jahren in der öffentlichen Kritik. Das Geschäft mit der Babynahrung ist äußerst lukrativ. Allein mit Säuglingsmilchpulver werden pro Jahr 4 Milliarden Dollar umgesetzt. Das entspricht 200000 Dosen Milchpulver pro Tag. Der Gewinn der Säuglingsnahrungsindustrie beträgt dabei täglich zwischen 1 und 3 Millionen Dollar. Der Markt expandiert.
In den Ländern der Dritten Welt sind die hygienischen und sanitären Voraussetzungen zur Zubereitung künstlicher Babynahrung kaum gegeben. Die Flaschennahrung statt Stillen trägt so nicht unerheblich zur Säuglingssterblichkeit bei.
Nestlé, mit einem Marktanteil von weltweit 50 Prozent Branchenführer in der Babymilchindustrie, wird wegen seiner aggressiven Vermarktungsstrategien für die Säuglingssterblichkeit mitverantwortlich gemacht. Weltweit rufen deshalb Aktionsgruppen bereits seit Jahren zum Boykott von Nestlé-Produkten auf. Die Aktionsgruppe Nestlé in der Schweiz verband dabei von jeher den Boykott-Aufruf mit der Forderung nach den Rechten der Nestlé-ArbeiterInnen und der Gewerkschaften.

Internationale Zusammenarbeit
Ausgehend vom Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze und gegen die Verschlechterung von Arbeitsbedingungen in Betrieben des Nestlé-Konzerns erfordert gerade der Kampf gegen diesen Konzern internationalistisches Handeln. Dies betrifft einerseits die Zusammenarbeit der Belegschaften auf Konzernebene, andererseits eröffnen die bereits stattfindenden Aktionen der Internationalismusbewegung Möglichkeiten zum gemeinsamen Vorgehen von aktiven Gewerkschaftern und Internationalismusgruppen.
Gerade in einer solchen Verbindung könnten neue Ansatzpunkte im Kampf gegen die neue, alte Weltordnung liegen. In diesem Sinn ist die praktische Solidarität mit den Kolleginnen und Kollegen bei Thomy und Maggi eine Aufgabe von uns allen.
Brigitte Kiechle
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