Sozialistische Zeitung |
Die Konzernleitung begründet die geplanten Schritte mit dem harten internationalen Konkurrenzkampf
und dem Preisdruck, den der Handel auf die Nahrungsmittelindustrie ausübt. Einer der Gewinner im Kampf um Marktanteile und
steigende Profite ist jedoch gerade der Schweizer Nestlé-Konzern.
Nestlé produziert weltweit in mehr als 500 Fabriken in 81
Ländern. Insgesamt bietet der Konzern über 8500 Produkte an. Zur Angebotspalette des größten
Nahrungsmittelkonzerns der Welt gehören neben Fertignahrung und Babyprodukten auch Kliniknahrung, Kosmetika, Pharmazeutika,
Molkereiprodukte, Süßwaren, Getränke, Hundefutter…
1998 betrug der Umsatz von Nestlé 72 Milliarden Schweizer
Franken. Der Konzern erzielte einen Gewinn von 4,29 Milliarden Franken. Für 1999 erwartet er nochmals eine Gewinnsteigerung. Die
Nestlé-Aktionäre freuen sich bereits auf diese erneute Verbesserung ihrer Rendite.
Gerade weil Nestlé mit großen Profitmargen arbeitet, wurde
jetzt beschlossen, noch mehr rauszuholen. Mit weniger Beschäftigten an weniger Standorten bei gleicher bzw. höherer
Produktivität soll eine weitere Gewinnsteigerung erreicht werden. Bei einer solchen Geschäftsstrategie werden die Menschen, die
den Reichtum erwirtschaften, und deren Arbeitsplätze zur reinen Manövriermasse degradiert.
Die multinationalen Konzerne befinden sich derzeit im Fusionsfieber. In
allen Branchen sind dadurch Tausende von Arbeitsplätzen bedroht. Für die Beschäftigten wird auch in der Praxis immer
deutlicher, dass die Formel "höhere Gewinne = sichere Arbeitsplätze" eine Täuschung ist. Die meisten Konzerne
melden fortwährend Rekordgewinne und kündigen gleichzeitig Massenentlassungen an.
Wir sitzen nicht in einem Boot
Der Aufsichtsrat von Nestlé-Deutschland hat beschlossen, das
Thomy-Werk in Karlsruhe mit 220 Beschäftigten stillzulegen bzw. zu verkaufen und bei Maggi in Singen 380 Arbeitsplätze
abzubauen. In der Konzernverwaltung stehen 300 Arbeitsplätze auf der Kippe.
Angesichts der derzeit bei Nestlé laufenden Umstrukturierungen und
Verlagerungen der Produktion befürchten die Beschäftigten, dass dies nur der Einstieg in weitere
Rationalisierungsmaßnahmen sein wird.
In der BRD geht es Nestlé derzeit vor allem darum, das
Arbeitsmodell "365 Tage pro Jahr x 24 Stunden pro Tag" durchzusetzen. Aufgrund der bisherigen betrieblichen
Auseinandersetzungen vermuten die Betriebsräte von Maggi-Singen und Thomy-Karlsruhe, dass Nestlé die vergleichsweise guten
Tarifvereinbarungen in Baden-Württemberg sabotieren will, in denen bisher weder der Samstag noch der Sonntag Regelarbeitstage sind.
Mit der Androhung von Betriebsschließungen und Massenkündigungen sollen die Belegschaften erpresst werden, schlechteren
Arbeitsbedingungen zuzustimmen.
Die Kolleginnen und Kollegen der betroffenen Betriebe sind bisher jedoch
nicht bereit, den Erpressungen nachzugeben und Arbeitsplatzabbau einfach hinzunehmen; sie haben Widerstand angekündigt.
Die Beschäftigten sind vor allem auch deshalb "sauer",
weil sie sich in den zurückliegenden Jahren immer wieder auf Absprachen in der Ideologie des "Bündnisses für
Arbeit" eingelassen haben - mit sehr einseitigen Auswirkungen. Im Glauben, dadurch Arbeitsplätze langfristig zu sichern, wurde auf
bisher gewährte Leistungen verzichtet. Es ging dabei um Zugeständnisse in Millionenhöhe, zu Lasten der Beschäftigten.
In Karlsruhe wie auch in Singen sind in den letzten Jahren in erheblichem Maße gewerbliche Arbeitsplätze weggefallen.
Vor diesem Hintergrund hat außerdem die Stadt Singen z.B. für
Maggi erhebliche finanzielle Vorleistungen erbracht, um die Arbeitsplätze am Standort Singen zu sichern. Lohnverzicht und
Subventionen haben jedoch nur ein zusätzliches Zubrot für die Aktionäre ergeben. Arbeitsplätze waren damit nicht zu
sichern.
Spaltungslinien
Die Widerstandsbereitschaft der betroffenen Kolleginnen und Kollegen hat
die Konzernleitung offensichtlich überrascht. Auf der Führungsebene hat sie sich durch eine flexible Strategie des "Teile und
herrsche" der unerwarteten Situation bereits angepasst. Bei Maggi in Singen soll der Widerstand durch stufenweise Entlassungen
geschwächt werden. Zunächst sind "nur" 107 Entlassungen vorgesehen. In Karlsruhe kalkuliert man nun auch mit einer
scheibchenweisen Zerstückelung des Werks bzw. der Verlagerung der Produktion in andere Thomy-Werke.
NGG und Beschäftigte wollen verhindern, dass auch nur eine
Schraube gelockert wird, und haben entsprechende Kampfmaßnahmen vorbereitet. Der Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze
wird jedoch nur dann erfolgreich sein können, wenn sich die Belegschaften der verschiedenen Maggi- oder Thomy-Werke nicht
auseinanderdividieren lassen, und wenn es gelingt, dem internationalen Konzern auch mit internationaler Solidarität im Kampf gegen die
Pläne der Konzernleitung zu begegnen.
In Karlsruhe wie in Singen haben sich Solidaritätskomitees zur
Unterstützung der Belegschaften um den Erhalt der Arbeitsplätze gebildet. In der Gründungserklärung des
Solidaritätskomitees "SOS Thomy" heißt es u.a.:
"Nicht Sozialpläne sind gefordert, sondern das aktive Eintreten
für den Erhalt von Arbeitsplätzen. Deshalb haben wir uns entschlossen, in Abstimmung mit dem Betriebsrat und der NGG mit
unterschiedlichen Aktionsformen und Eskalationsstufen den öffentlichen Druck auf Thomy und den Nestlé-Konzern zu
erhöhen, um die Vernichtung von Arbeitsplätzen zu verhindern. Wir wollen uns dafür einsetzen, dass die ArbeitnehmerInnen
in allen Standorten des Nestlé-Konzerns solidarisch sind und gemeinsam für den Erhalt der Arbeitsplätze
kämpfen."
Viele Gründe, gegen Nestlé aktiv zu werden
Nestlé ist in exemplarisches Beispiel, wie ein Großkonzern
handelt und Gewinnmaximierung über den Menschen stellt, im wahrsten Sinne des Wortes für den Erhalt der Ausbeutungsstrukturen
auch über Leichen geht.
1. Der Nestlé-Konzern ist stets auf der Seite der Hardliner, wenn es
um die Unterdrückung von Protesten gegen die kapitalistische Weltordnung und Arbeiterkämpfe geht. Die Herrschenden lieben es
nicht, wenn ihre Ausbeutungsstrategien öffentlich gemacht werden.
Als die Welthandelsorganisation WTO im Mai 1998 in Genf ihre zweite
Ministerialkonferenz veranstaltete, fanden sich allein in Genf 8000 DemonstrantInnen ein - weltweit beteiligten sich zehntausende am Protest
gegen die WTO und die bestehenden Ausbeutungs- und Machtverhältnisse.
Als sich im September 1998 die UN-VertreterInnen und Topmanager von
Konzernen zum "Geneva-Business-Dialog" trafen, forderte vor allem Helmut Maucher, Nestlé-Verwaltungspräsident
und Präsident der Internationalen Handelskammer ICC-WBO, die jeweiligen Staatsregierungen auf, ihre polizeilichen Aufgaben gegen
die Protestierenden wahrzunehmen (Seattle wurde trotzdem für die WTO-Gegner ein Erfolg).
Auch sonst sind Vertreter des Nestlé-Konzerns nicht zimperlich,
Polizei und Militär gegen Arbeiterproteste und Streiks einsetzen zu lassen, wie z.B. mehrfach auf den Philippinen geschehen.
2. Der Nestlé-Konzern spielt außerdem eine führende
Rolle bei dem Versuch, genmanipulierte Lebensmittel auf den deutschen und internationalen Markt zu drücken. Nestlé verkauft
zunehmend Lebensmittel mit gentechnisch veränderten Bestandteilen. So muss z.B. auch bei Produkten von Maggi und Thomy mit
Verwendung von Eiweiß aus genmanipuliertem Soja/Mais gerechnet werden.
3. Nach Angaben der UNESCO leben weltweit fast 1,3 Milliarden
Menschen ohne ausreichende Trinkwasserversorgung. Der Preis für einwandfreies Wasser hat sich in diesem Jahrhundert versiebenfacht.
In weiser Vorausschau dieser Entwicklung begann Nestlé
frühzeitig, sich in den Bereich Wasser einzukaufen. Im Bereich der Privatisierung öffentlicher Quellen durch transnationale
Lebensmittelkonzerne gilt der Nestlé-Konzern als Marktführer.
Angesichts des ansteigenden Trinkwassermangels auf der Erde werden die
kommenden Kriege nicht mehr nur um das Öl, sondern auch um Trinkwasser geführt werden, wie zunehmend auch staatliche
Institutionen zu bedenken geben. Die Öl-Multis werden durch "Wasser-Multis" Konkurrenz bekommen. Sehr vorausschauend,
wer sich rechtzeitig Besitzrechte an Quellen sichert. Nestlé ist jedenfalls dabei.
4. Aufgrund seiner Vermarktungsstrategien bei Babynahrung in der Dritten
Welt ist der Nestlé-Konzern bereits seit Jahren in der öffentlichen Kritik. Das Geschäft mit der Babynahrung ist
äußerst lukrativ. Allein mit Säuglingsmilchpulver werden pro Jahr 4 Milliarden Dollar umgesetzt. Das entspricht 200000
Dosen Milchpulver pro Tag. Der Gewinn der Säuglingsnahrungsindustrie beträgt dabei täglich zwischen 1 und 3 Millionen
Dollar. Der Markt expandiert.
In den Ländern der Dritten Welt sind die hygienischen und
sanitären Voraussetzungen zur Zubereitung künstlicher Babynahrung kaum gegeben. Die Flaschennahrung statt Stillen trägt so
nicht unerheblich zur Säuglingssterblichkeit bei.
Nestlé, mit einem Marktanteil von weltweit 50 Prozent
Branchenführer in der Babymilchindustrie, wird wegen seiner aggressiven Vermarktungsstrategien für die
Säuglingssterblichkeit mitverantwortlich gemacht. Weltweit rufen deshalb Aktionsgruppen bereits seit Jahren zum Boykott von
Nestlé-Produkten auf. Die Aktionsgruppe Nestlé in der Schweiz verband dabei von jeher den Boykott-Aufruf mit der Forderung
nach den Rechten der Nestlé-ArbeiterInnen und der Gewerkschaften.
Internationale Zusammenarbeit
Ausgehend vom Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze und gegen
die Verschlechterung von Arbeitsbedingungen in Betrieben des Nestlé-Konzerns erfordert gerade der Kampf gegen diesen Konzern
internationalistisches Handeln. Dies betrifft einerseits die Zusammenarbeit der Belegschaften auf Konzernebene, andererseits eröffnen
die bereits stattfindenden Aktionen der Internationalismusbewegung Möglichkeiten zum gemeinsamen Vorgehen von aktiven
Gewerkschaftern und Internationalismusgruppen.
Gerade in einer solchen Verbindung könnten neue Ansatzpunkte im
Kampf gegen die neue, alte Weltordnung liegen. In diesem Sinn ist die praktische Solidarität mit den Kolleginnen und Kollegen bei
Thomy und Maggi eine Aufgabe von uns allen.
Brigitte Kiechle
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04