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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.25 vom 09.12.1999, Seite 8

Ein Monat im Leben des Otto Sch.

Wie schaffe ich das Asylrecht ab und Kosovo-Flüchtlinge raus?

In der Berliner Zeitung vom 8.November erschien ein aufschlussreiches Interview mit Bundesinnenminister Otto Schily (SPD). Auf die Frage, was er damit gemeint habe, als er vor einiger Zeit forderte, dass sich das Asylrecht "stärker an moralischen Maßstäben als an juristischen Klauseln" orientieren soll, antwortete er: "Es gibt in Europa eine Debatte über die Harmonisierung des Asylrechts. Und es ist eine Illusion zu glauben, dass andere Staaten unser Asylrecht einfach übernehmen werden. Außerdem muss man prüfen, ob die Zielgenauigkeit von Asylentscheidungen mit unserem System noch gewährleistet ist. Jedes Jahr kommen etwa 100.000 Flüchtlinge nach Deutschland. Davon sind nur 3% asylwürdig. Der Rest sind Wirtschaftsflüchtlinge. Da darf man wohl die Frage stellen, ob unser System besonders effizient ist."
"Pro Asyl" wirft Schily vor, mit falschen Zahlen und demagogischen Behauptungen Stimmung gegen Flüchtlinge zu machen, da seine Angaben von dem ihm unterstehenden Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge widerlegt werden.
Nach den amtlichen Zahlen betrug die Anerkennungsquote innerhalb der ersten zehn Monate dieses Jahres 3,48%. Darüber hinaus zählt das Bundesamt weitere Gruppen auf, die schutzbedürftig sind und bleiben dürfen. Das sog. "kleine Asyl" nach §51 des Ausländergesetzes, der das Abschiebungsverbot nach der Genfer Flüchtlingskonvention umsetzt, erhielten 5,17% der Asylbewerber. Weiteren 1,76% der Antragsteller billigten die Beamten ein Bleiberecht nach §53 des Ausländergesetzes zu; dabei geht es um Menschen, denen Folter, die Todesstrafe oder konkrete Gefahren für Leib und Leben drohen.
Alles in allem attestiert also bereits das Bundesamt mehr als 10% der Asylbewerber, dass ihnen in Deutschland Schutz vor Verfolgung zusteht. Dabei ist noch nicht erfasst, wie viele Flüchtlinge zu Unrecht durch das Behördenraster gefallen sind und sich ihr Bleiberecht vor Gericht erstritten haben. Fachleute gehen davon aus, dass sich die Quote dadurch verdoppelt - der Sprecher der Ausländerbeauftragten Marieluise Beck, Bernd Knopf, geht von einer Anerkennungsquote von 20 Prozent aus.
Und wie reagiert der grüne Koaltionspartner auf die Äußerungen des Bundesinnenminister? Sie wollen in der "Flüchtlingsfrage weiter klare Worte sprechen", so Fraktionschefin Kerstin Müller. Doch diese Klarheit ist vernebelt, da die rot-grüne Koalition absolute Priorität genießt und kritische Anmerkungen zur Asylpolitik und der Abschiebung der Kosovo-Flüchtlinge daher nur zu unerwünschten atmosphärischen Störungen führen würden.
Auf ihrer Konferenz am 19.November beschlossen die Innenminister von Bund und Ländern nicht nur die "Altfallregelung" (gesonderter Artikel dazu unten), sondern auch die Abschiebung der Kosovo-Flüchtlinge: Ab kommendem Frühjahr soll in großem Stil mit der Rückführung der 180.000 Bürgerkriegsflüchtlinge begonnen werden. Otto Schily erklärte, er hoffe dabei auf "Freiwilligkeit". Und wenn dies nicht freiwillig geschieht, werden die Menschen ab dem Frühjahr 2000 abgeschoben. Ende des nächsten Jahres soll die "Rückführung" dann abgeschlossen sein.
Doch müssen wegen des Wirtschaftsembargos sowie des Flugverbots Wege gefunden werden, um reibungslos abschieben zu können. Daher führte Schily in den letzten Wochen Gespräche mit Österreich, Bosnien-Herzegowina, Slowenien, Italien, Kroatien, Makedonien, Albanien und Ungarn.
Der Rückendeckung vom grünen Koalitionspartner kann sich Schily sicher sein: Trotz 120.000 zerstörter Häuser, zusammengebrochener Infrastruktur und anderen Folgen des NATO-Krieges ist nach Meinung von Gerd Poppe, dem grünen Menschenrechtsbeauftragten des Auswärtigen Amts, keine humanitäre Katastrophe zu erwarten. Und für Kerstin Müller ist es wichtig, dass die Abschiebungen erst im nächsten Frühjahr beginnen - denn fällt erst mal kein Schnee mehr, sind der Partei und den Wählerinnen und Wählern auch ein paar Abschiebungen zu vermitteln, ohne der rot-grünen Koaltion Schaden zuzufügen.
Simone Treis
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