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Es gibt eine internationale Jubilee-2000-Kampagne, die sich für einen Schuldenerlass der ärmsten Länder
einsetzt. Warum organisieren Gruppen aus Südafrika einen Gipfel, auf dem sich die südlichen Jubilee-Kampagnen separat treffen?
Vor allem in den Ländern des Nordens ist Jubilee 2000 eine
Kampagne für einen Schuldenerlass, die nicht notwendigerweise die Gründe für die Verschuldung aufgreift. Man muss
einfach sehen, dass die Schuldenkrise viele Länder des Südens als eine Folge der Sklaverei, Kolonisierung und heute im Kontext
der Globalisierung erfasst hat. Deswegen ist es notwendig, die Verschuldung in einer Art und Weise zur Sprache zu bringen, die sich nicht
über die dahinter stehenden Strukturen ausschweigt, die diese Länder nach wie vor in enger Abhängigkeit zu den Profiteuren
im Norden halten.
Die südlichen Jubilee-Organisationen haben mit ihrer Arbeit
begonnen, als es im Norden schon eine relativ starken Ansatz gab, sich ausschließlich mit der Verschuldung der ärmsten
Länder zu beschäftigten. Und nur bis zum Jahr 2000, dann wäre die Sache vorbei. Man wollte im Norden eine schöne
Kampagne machen.
Für uns bedeutet es aber viel mehr. In klaren Worten gesprochen -
und ohne dabei allzu dramatisch wirken zu wollen - ist es für uns eine Frage von Leben und Tod. Gerade die Verschuldung drückt
die Dominanz des Nordens gegenüber dem Süden aus. Natürlich spielen auch der Handel und die Politik der
Welthandelsorganisation WTO eine große Rolle und sind ein weiterer Ausdruck dafür, wie sehr die Situation im Süden mit
der globalen Ökonomie verflochten ist. Aber es waren die Schulden, die Weltbank und die Strukturanpassungsprogramme (SAP) des
Internationalen Währungsfonds (IWF), die die Kontrolle des Norden über den Süden und seine Bevölkerung nach der
Kolonialisierung weiter aufrechterhalten haben.
Als Jubilee 2000 anwuchs, begannen auch die Kampagnengruppen im
Süden, ihre eigenen Perspektiven und Ansichten zu formulieren. Einige Beispiele: Brasilien ist hochverschuldet, mit den entsprechenden
Konsequenzen für die Lohnabhängigen und Landlosen. In der internationalen Kampagne war Brasilien jedoch kein Thema.
Brasilien sei ein Land mit durchschnittlich mittleren Einkommen, so die Begründung von Jubilee 2000. Wir wissen jedoch, dass Brasilien
gemessen an der Einkommensverteilung das Land mit der größten Ungleichheit ist. Südafrika folgt bei der ungleichen
Einkommensverteilung weltweit an zweiter Stelle und ist ebenfalls ausgeschlossen worden.
Die Verschuldung hat natürlich auch in Südafrika und Brasilien
starke Auswirkungen auf die Bevölkerung, die ganz offensichtlich eine Basis darstellt, mit der man eine Bewegung wie Jubilee aufbauen
kann. Aber das allein genügt nicht. Wir müssen sowohl die Perspektiven als auch die Forderungen von Jubilee 2000 radikalisieren.
Wie entwickelte sich die Süd-Süd-Koordinierung?
Zunächst hatten sich die Jubilee 2000 Strukturen und einige soziale
Bewegungen aus Lateinamerika und der Karibik zusammengefunden, um gemeinsam ihre Aktivitäten zu koordinieren und ihre Erfahrungen
auszutauschen. Nach ihren ersten Treffen entwickelten sie ein Netzwerk, trafen sich regelmäßig, um Strategien zu entwerfen und
sich in Lateinamerika weiter zu verankern. Sie taten das auf der Basis einer gemeinsamen Perspektive.
Als wir im südlichen Afrika anfingen, über Jubilee 2000 zu
diskutieren, sahen wir sehr schnell eine Übereinstimmung mit den Forderungen und Vorstellungen der Freunde in Südamerika. Ihr
Hauptansatz war ebenfalls nicht die Frage von Schulden und Nachhaltigkeit, sowie deren Auswirkungen auf das Gesundheitssystem, Bildung,
Ernährung usw. Das ist alles sehr wichtig, aber der entscheidende Punkt war für uns, dass auch sie die
Unrechtmäßigkeit und Immoralität der Schulden benannten. Als wir unsere Mitstreiter aus Asien trafen, hatten sie fast exakt
denselben Prozess hinter sich gebracht und waren ebenfalls zu diesen Ergebnissen gekommen.
Ausgehend von dieser gemeinsamen Perspektive haben wir die
Notwendigkeit gesehen, als "Süden" ein eigenes Treffen zu machen, unsere Strategien zu entwickeln und unsere Forderungen
zu artikulieren. Wir wollen unsere Interessen auf die Agenda der Jubilee 2000 Kampagne setzen. Denn wir sind diejenigen, die die Folgen der
Verschuldung ausbaden müssen. Die Strukturen im Norden, so wichtig sie auch sind, müssen die Führung des Südens
akzeptieren. Das ist unser Verständnis von Solidarität.
Die Erlassjahrkampagne hat behauptet, Jubilee South würde niemanden repräsentieren. Ihre Vertreter lehnten die
Forderungen nach totaler Schuldenstreichung und Reparationen ab. Was steht hinter dieser Haltung der Erlassjahrkampagne?
Jubilee South ist keine homogene Bewegung. Wir haben verschiedene
Hintergründe. Deshalb war auch der Gipfel in Johannesburg so wichtig. Dort hatten wir erstmals die Gelegenheit, Repräsentanten
der Kampagne mit weiteren bedeutenden sozialen Bewegungen aus den verschiedenen Ländern zusammenzubringen. Nicht nur die
Jubilee-Kampagnen, sondern z.B. auch die brasilianische Landlosenbewegung MST, Kirchenstrukturen und der Gewerkschaftsdachverband
CUT aus Brasilien waren hier in Johannesburg. Aus Südafrika nahmen außer den Jubilee 2000 Kampagnen noch die
Gewerkschaftsverbände COSATU und NACTU sowie der südafrikanische Kirchenrat teil.
Als wir in Köln waren, hatten wir vor allem Zweifel an der
politischen Orientierung der Nord-Kampagnen. Von Deutschland haben wir das sichere Gefühl mit nach Hause genommen, dass die
Erlassjahrkampagne dort von ein bis zwei NGOs dominiert wird. Sie wollte ganz besonders den Eindruck erwecken,
"vernünftig" zu sein und nichts zu fordern, was auf die politischen Entscheidungsträger in den Institutionen
abschreckend wirken könnte. Sie begriffen sich nicht als Mobilisierungskampagne, sondern vielmehr als eine Lobby, die sich an den IWF
und die Weltbank richtet, damit diese ihre Position ändern.
Diesen Ansatz teilen wir im Süden nicht. Nach den Erfahrungen, die
wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten mit dem IWF gemacht haben, muss man diesen Institutionen das Recht absprechen, weiterhin Einfluss
auf die Politik in unseren Ländern zu nehmen. Wir wollen sie nicht höflich darum bitten, ihre Politik zu ändern. Was wir
brauchen, ist die Macht einer Massenmobilisierung. Wenn sie die spüren, werden sie vielleicht ihre Politik ändern. Aber ohne eine
Bewegung wird nichts geschehen.
Jubilee South will die Macht Washingtons schwächen und die Souveränität der Nationalstaaten stärken.
Was heißt das konkret?
Mit dem steigenden Einfluss von IWF und Weltbank haben die
ökonomischen Entscheidungen auch einschneidende soziale und politische Konsequenzen für unsere Gesellschaften. In Mosambik,
Zambia und Kenya bestimmt die Weltbank die Politik der jeweiligen Zentralbanken. Der IWF dominiert die Politik der Finanzministerien. Ein
Beispiel: in Kenya haben vor kurzem die Lehrer ihre Arbeit niedergelegt. Der IWF intervenierte in diesen Streik und drohte der Regierung,
dass er die Umsetzung der Kreditzusagen aufhebt, wenn sie einer Lohnerhöhung zustimmen. Das ist die "Macht Washingtons",
die wir meinen.
Auch in der Asienkrise war der IWF in der Lage, mit seinen Finanzspritzen
gleichzeitig ein ganzes Paket von Bedingungen aufzuerlegen. Ebenfalls ein gutes Beispiel ist Brasilien. Dort ist es dem IWF gelungen, die
Privatisierung der Schlüsselindustrien, Telekommunikation und Energie einzuleiten.
Mit anderen Worten: All diese Maßnahmen haben nicht nur dazu
beigetragen, die Macht in unseren Gesellschaften zu übernehmen, sondern haben vor allem auch die Märkte für US-
amerikanische, japanische und europäische Transnationale Konzerne (TNCs) geöffnet. Jubilee South will die Barrieren wieder
einführen, den Zugang der TNCs zu unseren Gesellschaften verhindern.
Der Kampf um Schuldenstreichung ist ein Kampf um Mobilisierung, in
dessen Prozess die Verschuldungskrise als eine moderne Form der Sklaverei, als Ausdruck der Beziehung des Nordens zum Süden
offengelegt werden. Einfache Leute werden beginnen, diese Zusammenhänge zu begreifen und sie dann auch anzugreifen. Sie werden
sagen: "Wir müssen die Politik diktieren, die unseren Grundbedürfnissen entsprechen. Wir haben es überhaupt nicht
nötig, Kapitalkontrollen zu liberalisieren. Vielmehr brauchen wir sie, um sicherzustellen, dass wir uns vor Finanzkrisen schützen
können." Denn genau die Abschaffung der Kapitalkontrollen hat uns für die Finanzkrisen anfällig gemacht.
Wir brauchen mehr Nationalisierung und nicht Privatisierung. Gerade
deshalb, weil die Privatisierung die Macht des Marktes gestärkt hat, die wiederrum zu größerer Armut führt. Die
Menschen können kaum noch für die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse aufkommen, die durch die Privatisierung den
Marktgesetzen unterliegen. Wasser, Erziehung, Gesundheit - alles muss bezahlt werden. Zwei Drittel der Menschheit, die über ein bis
zwei Dollar täglich verfügen, können sich das nicht leisten.
Auf dem jüngsten IWF Treffen in diesem Sommer haben die Delegierten beschlossen, den bisher strikt monetaristisch
ausgerichteten Strukturanpassungsprogrammen nun auch "Armutskriterien" hinzuzufügen. Gibt der IWF mit dieser Regelung
die formale Verantwortung der Armutsbekämpfung an die Staaten in der Dritten Welt zurück?
Der IWF benutzte die in Köln aufgeworfene Schuldenfrage in seinem
Sinne. Der vor kurzem zurückgetretene Direktor des IWF, Michel Camdessus, bezeichnete das als "wunderbare Gelegenheit",
endlich ökonomische Reformen durchzusetzen. Die Strukturanpassungsprogramme des IWF sind im Lichte der Kritik nur umgewandelt
worden. Der IWF hat die Kritik förmlich absorbiert, sich an die Spitze gesetzt, um sie zu unterminieren.
Wenn man sich die konkreten Ausführungen der
"reformierten" Programme anschaut, kann man nur zu dem Schluss kommen, dass sie eigentlich nichts geändert haben, was
bisher Armut und Elend in den Länder des Südens verursacht hat. Das Gegenteil ist der Fall.
Die neuen Maßnahmen sollen vor allem die öffentliche
Meinung beeinflussen. Der US-amerikanische Kongress soll demnächst über weitere Finanzmittel für den IWF
beschließen. Clinton hat viele Schwierigkeiten, größere Summen bewilligt zu bekommen. Wenn es ihm gelingt, den IWF als
eine Institution der "Armutbekämpfung" zu verkaufen, dürfte er sein Ziel wesentlich leichter erreichen. Sie antworten
damit auch auf die Sensibilität für dieses Thema, die durch die Jubilee 2000 Kampagne entstanden ist.
Es ist wichtig herauszustellen, dass die Illusion über eine
Schuldenreduzierung schon mit der Diskussion um deren Finanzierung geplatzt ist. Entweder streicht man Schulden, oder man macht etwas
anderes. Über was redet der IWF, wenn er die Finanzierung der Schuldenstreichung auf die Tagesordnung setzt? Sie sprechen
darüber, den Kreditoren Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Wer bezahlt für die Schuldenstreichung? Wenn mir jemand
was schuldet, streiche ich sie einfach. Ich habe Rückzahlungen und Zinsen erwartet, die sind dann verloren. Das sind die Konsequenzen.
Wenn die Schuldenstreichung jedoch finanziert wird, bedeutet das lange
Verhandlungen zwischen den Regierungen, den Banken, der Weltbank und dem IWF. Sie sind auf der Suche nach Ressourcen, um die
Schuldenstreichung zu finanzieren. Es geht um nichts anderes, als die finanziellen Möglichkeiten innnerhalb der Weltbank auszuloten und
dort einen Weg zur Finanzierung der Schulden zu finden, die bisher nicht gezahlt werden konnten.
Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst auch im Norden an. Die Regierungen des Nordens sind ebenfalls verschuldet.
Sie üben sich in strenger Haushaltsdisziplin und tragen ihre Sparmaßnahmen auf dem Rücken der Erwerbslosen,
Flüchtlinge und Lohnabhängigen aus. Langsam beginnen auch dort Bewegungen wie die Europäischen Märsche gegen
Erwerbslosigkeit sich dieser Entwicklung entgegenzustellen. Sind sie für Jubilee South ein Bezugspunkt?
Wir wissen, dass die Kampagnen im Norden nicht alle wie die
Erlassjahrkampagne funktionieren. Auch in Europa gibt es Kampagnen und Organisationen, deren Analysen der von Jubilee South ähneln.
Man kann so viel auf der Basis der Solidarität machen. Aber wenn man wirklich Bewegung erzeugen will, muss man auch die Menschen
erreichen, die ihre Probleme mit der Bevölkerung des Südens teilen. Wenn sie unseren Kampf auch als den ihren verstehen, der
etwas mit ihrer Lebensrealität zu tun hat, dann ist das eine Basis für konkrete Solidarität. Genau das - und nicht eine Art
"progressive" Attitüde - ist das Ziel. Die Solidarität muss aus eigenem Interesse entstehen, aus dem Bewusstsein, in
einer ähnlichen Position zu sein.
Deshalb konzentrieren wir uns auf die aufstrebenden sozialen Bewegungen,
die vor allem aus Frankreich, Deutschland, Italien und Belgien bekannt sind. In diesen Bewegungen sehen wir ähnliche Ansätze,
wie wir sie bei Jubilee South haben. Sie wollen nicht die Subjekte der Sparpolitik sein. Das ist derselbe Kampf und eine Basis für
Solidarität. Doch eine Gewerkschaftsbewegung in Europa, die keine Probleme mit der EU, der Einheitswährung und ihren
Stabiltitätskriterien hat - auf sie können wir verzichten.
Die radikale und internationalistische Linke in Europa hat uns
enttäuscht. Sie haben die Möglichkeiten der Jubilee-Kampagne überhaupt nicht begriffen. Anstatt sich hineinzubegeben und
um Positionen zu kämpfen, sie zu radikalisieren, haben sie kritische Papiere geschrieben. Die Potenziale für einen
antiimperialistischen Kampf haben sie überhaupt nicht gesehen. Es ist nicht nur nötig, Papiere zu schreiben. Es ist ebenso wichtig
und notwendig, dass die radikale Linke sich in die Kampagne hineinbegibt. Das ist internationale Solidarität, die wir uns
wünschen.
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
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