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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.25 vom 09.12.1999, Seite 11

Verschuldung ist nur der Anfang

Trikontinentale Südkoordination für neuen Antiimperialismus

Ende November fand im südafrikanischen Johannesburg die trikontinentale Südkoordination der internationalen Kampagne für Schuldenstreichung, Jubilee 2000, statt. Mehr als 120 Delegierte aus Asien, Afrika und Lateinamerika forderten die völlige Schuldenstreichung für die Dritte Welt. Mit Brian Ashley, einem Koordinator des Jubilee-South-Gipfels und Mitarbeiter des Alternative Information and Development Centres (AIDC) in Kapstadt sprach Gerhard Klas über die Hintergründe.



Es gibt eine internationale Jubilee-2000-Kampagne, die sich für einen Schuldenerlass der ärmsten Länder einsetzt. Warum organisieren Gruppen aus Südafrika einen Gipfel, auf dem sich die südlichen Jubilee-Kampagnen separat treffen?
Vor allem in den Ländern des Nordens ist Jubilee 2000 eine Kampagne für einen Schuldenerlass, die nicht notwendigerweise die Gründe für die Verschuldung aufgreift. Man muss einfach sehen, dass die Schuldenkrise viele Länder des Südens als eine Folge der Sklaverei, Kolonisierung und heute im Kontext der Globalisierung erfasst hat. Deswegen ist es notwendig, die Verschuldung in einer Art und Weise zur Sprache zu bringen, die sich nicht über die dahinter stehenden Strukturen ausschweigt, die diese Länder nach wie vor in enger Abhängigkeit zu den Profiteuren im Norden halten.
Die südlichen Jubilee-Organisationen haben mit ihrer Arbeit begonnen, als es im Norden schon eine relativ starken Ansatz gab, sich ausschließlich mit der Verschuldung der ärmsten Länder zu beschäftigten. Und nur bis zum Jahr 2000, dann wäre die Sache vorbei. Man wollte im Norden eine schöne Kampagne machen.
Für uns bedeutet es aber viel mehr. In klaren Worten gesprochen - und ohne dabei allzu dramatisch wirken zu wollen - ist es für uns eine Frage von Leben und Tod. Gerade die Verschuldung drückt die Dominanz des Nordens gegenüber dem Süden aus. Natürlich spielen auch der Handel und die Politik der Welthandelsorganisation WTO eine große Rolle und sind ein weiterer Ausdruck dafür, wie sehr die Situation im Süden mit der globalen Ökonomie verflochten ist. Aber es waren die Schulden, die Weltbank und die Strukturanpassungsprogramme (SAP) des Internationalen Währungsfonds (IWF), die die Kontrolle des Norden über den Süden und seine Bevölkerung nach der Kolonialisierung weiter aufrechterhalten haben.
Als Jubilee 2000 anwuchs, begannen auch die Kampagnengruppen im Süden, ihre eigenen Perspektiven und Ansichten zu formulieren. Einige Beispiele: Brasilien ist hochverschuldet, mit den entsprechenden Konsequenzen für die Lohnabhängigen und Landlosen. In der internationalen Kampagne war Brasilien jedoch kein Thema. Brasilien sei ein Land mit durchschnittlich mittleren Einkommen, so die Begründung von Jubilee 2000. Wir wissen jedoch, dass Brasilien gemessen an der Einkommensverteilung das Land mit der größten Ungleichheit ist. Südafrika folgt bei der ungleichen Einkommensverteilung weltweit an zweiter Stelle und ist ebenfalls ausgeschlossen worden.
Die Verschuldung hat natürlich auch in Südafrika und Brasilien starke Auswirkungen auf die Bevölkerung, die ganz offensichtlich eine Basis darstellt, mit der man eine Bewegung wie Jubilee aufbauen kann. Aber das allein genügt nicht. Wir müssen sowohl die Perspektiven als auch die Forderungen von Jubilee 2000 radikalisieren.

Wie entwickelte sich die Süd-Süd-Koordinierung?
Zunächst hatten sich die Jubilee 2000 Strukturen und einige soziale Bewegungen aus Lateinamerika und der Karibik zusammengefunden, um gemeinsam ihre Aktivitäten zu koordinieren und ihre Erfahrungen auszutauschen. Nach ihren ersten Treffen entwickelten sie ein Netzwerk, trafen sich regelmäßig, um Strategien zu entwerfen und sich in Lateinamerika weiter zu verankern. Sie taten das auf der Basis einer gemeinsamen Perspektive.
Als wir im südlichen Afrika anfingen, über Jubilee 2000 zu diskutieren, sahen wir sehr schnell eine Übereinstimmung mit den Forderungen und Vorstellungen der Freunde in Südamerika. Ihr Hauptansatz war ebenfalls nicht die Frage von Schulden und Nachhaltigkeit, sowie deren Auswirkungen auf das Gesundheitssystem, Bildung, Ernährung usw. Das ist alles sehr wichtig, aber der entscheidende Punkt war für uns, dass auch sie die Unrechtmäßigkeit und Immoralität der Schulden benannten. Als wir unsere Mitstreiter aus Asien trafen, hatten sie fast exakt denselben Prozess hinter sich gebracht und waren ebenfalls zu diesen Ergebnissen gekommen.
Ausgehend von dieser gemeinsamen Perspektive haben wir die Notwendigkeit gesehen, als "Süden" ein eigenes Treffen zu machen, unsere Strategien zu entwickeln und unsere Forderungen zu artikulieren. Wir wollen unsere Interessen auf die Agenda der Jubilee 2000 Kampagne setzen. Denn wir sind diejenigen, die die Folgen der Verschuldung ausbaden müssen. Die Strukturen im Norden, so wichtig sie auch sind, müssen die Führung des Südens akzeptieren. Das ist unser Verständnis von Solidarität.

Die Erlassjahrkampagne hat behauptet, Jubilee South würde niemanden repräsentieren. Ihre Vertreter lehnten die Forderungen nach totaler Schuldenstreichung und Reparationen ab. Was steht hinter dieser Haltung der Erlassjahrkampagne?
Jubilee South ist keine homogene Bewegung. Wir haben verschiedene Hintergründe. Deshalb war auch der Gipfel in Johannesburg so wichtig. Dort hatten wir erstmals die Gelegenheit, Repräsentanten der Kampagne mit weiteren bedeutenden sozialen Bewegungen aus den verschiedenen Ländern zusammenzubringen. Nicht nur die Jubilee-Kampagnen, sondern z.B. auch die brasilianische Landlosenbewegung MST, Kirchenstrukturen und der Gewerkschaftsdachverband CUT aus Brasilien waren hier in Johannesburg. Aus Südafrika nahmen außer den Jubilee 2000 Kampagnen noch die Gewerkschaftsverbände COSATU und NACTU sowie der südafrikanische Kirchenrat teil.
Als wir in Köln waren, hatten wir vor allem Zweifel an der politischen Orientierung der Nord-Kampagnen. Von Deutschland haben wir das sichere Gefühl mit nach Hause genommen, dass die Erlassjahrkampagne dort von ein bis zwei NGOs dominiert wird. Sie wollte ganz besonders den Eindruck erwecken, "vernünftig" zu sein und nichts zu fordern, was auf die politischen Entscheidungsträger in den Institutionen abschreckend wirken könnte. Sie begriffen sich nicht als Mobilisierungskampagne, sondern vielmehr als eine Lobby, die sich an den IWF und die Weltbank richtet, damit diese ihre Position ändern.
Diesen Ansatz teilen wir im Süden nicht. Nach den Erfahrungen, die wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten mit dem IWF gemacht haben, muss man diesen Institutionen das Recht absprechen, weiterhin Einfluss auf die Politik in unseren Ländern zu nehmen. Wir wollen sie nicht höflich darum bitten, ihre Politik zu ändern. Was wir brauchen, ist die Macht einer Massenmobilisierung. Wenn sie die spüren, werden sie vielleicht ihre Politik ändern. Aber ohne eine Bewegung wird nichts geschehen.

Jubilee South will die Macht Washingtons schwächen und die Souveränität der Nationalstaaten stärken. Was heißt das konkret?
Mit dem steigenden Einfluss von IWF und Weltbank haben die ökonomischen Entscheidungen auch einschneidende soziale und politische Konsequenzen für unsere Gesellschaften. In Mosambik, Zambia und Kenya bestimmt die Weltbank die Politik der jeweiligen Zentralbanken. Der IWF dominiert die Politik der Finanzministerien. Ein Beispiel: in Kenya haben vor kurzem die Lehrer ihre Arbeit niedergelegt. Der IWF intervenierte in diesen Streik und drohte der Regierung, dass er die Umsetzung der Kreditzusagen aufhebt, wenn sie einer Lohnerhöhung zustimmen. Das ist die "Macht Washingtons", die wir meinen.
Auch in der Asienkrise war der IWF in der Lage, mit seinen Finanzspritzen gleichzeitig ein ganzes Paket von Bedingungen aufzuerlegen. Ebenfalls ein gutes Beispiel ist Brasilien. Dort ist es dem IWF gelungen, die Privatisierung der Schlüsselindustrien, Telekommunikation und Energie einzuleiten.
Mit anderen Worten: All diese Maßnahmen haben nicht nur dazu beigetragen, die Macht in unseren Gesellschaften zu übernehmen, sondern haben vor allem auch die Märkte für US- amerikanische, japanische und europäische Transnationale Konzerne (TNCs) geöffnet. Jubilee South will die Barrieren wieder einführen, den Zugang der TNCs zu unseren Gesellschaften verhindern.
Der Kampf um Schuldenstreichung ist ein Kampf um Mobilisierung, in dessen Prozess die Verschuldungskrise als eine moderne Form der Sklaverei, als Ausdruck der Beziehung des Nordens zum Süden offengelegt werden. Einfache Leute werden beginnen, diese Zusammenhänge zu begreifen und sie dann auch anzugreifen. Sie werden sagen: "Wir müssen die Politik diktieren, die unseren Grundbedürfnissen entsprechen. Wir haben es überhaupt nicht nötig, Kapitalkontrollen zu liberalisieren. Vielmehr brauchen wir sie, um sicherzustellen, dass wir uns vor Finanzkrisen schützen können." Denn genau die Abschaffung der Kapitalkontrollen hat uns für die Finanzkrisen anfällig gemacht.
Wir brauchen mehr Nationalisierung und nicht Privatisierung. Gerade deshalb, weil die Privatisierung die Macht des Marktes gestärkt hat, die wiederrum zu größerer Armut führt. Die Menschen können kaum noch für die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse aufkommen, die durch die Privatisierung den Marktgesetzen unterliegen. Wasser, Erziehung, Gesundheit - alles muss bezahlt werden. Zwei Drittel der Menschheit, die über ein bis zwei Dollar täglich verfügen, können sich das nicht leisten.

Auf dem jüngsten IWF Treffen in diesem Sommer haben die Delegierten beschlossen, den bisher strikt monetaristisch ausgerichteten Strukturanpassungsprogrammen nun auch "Armutskriterien" hinzuzufügen. Gibt der IWF mit dieser Regelung die formale Verantwortung der Armutsbekämpfung an die Staaten in der Dritten Welt zurück?
Der IWF benutzte die in Köln aufgeworfene Schuldenfrage in seinem Sinne. Der vor kurzem zurückgetretene Direktor des IWF, Michel Camdessus, bezeichnete das als "wunderbare Gelegenheit", endlich ökonomische Reformen durchzusetzen. Die Strukturanpassungsprogramme des IWF sind im Lichte der Kritik nur umgewandelt worden. Der IWF hat die Kritik förmlich absorbiert, sich an die Spitze gesetzt, um sie zu unterminieren.
Wenn man sich die konkreten Ausführungen der "reformierten" Programme anschaut, kann man nur zu dem Schluss kommen, dass sie eigentlich nichts geändert haben, was bisher Armut und Elend in den Länder des Südens verursacht hat. Das Gegenteil ist der Fall.
Die neuen Maßnahmen sollen vor allem die öffentliche Meinung beeinflussen. Der US-amerikanische Kongress soll demnächst über weitere Finanzmittel für den IWF beschließen. Clinton hat viele Schwierigkeiten, größere Summen bewilligt zu bekommen. Wenn es ihm gelingt, den IWF als eine Institution der "Armutbekämpfung" zu verkaufen, dürfte er sein Ziel wesentlich leichter erreichen. Sie antworten damit auch auf die Sensibilität für dieses Thema, die durch die Jubilee 2000 Kampagne entstanden ist.
Es ist wichtig herauszustellen, dass die Illusion über eine Schuldenreduzierung schon mit der Diskussion um deren Finanzierung geplatzt ist. Entweder streicht man Schulden, oder man macht etwas anderes. Über was redet der IWF, wenn er die Finanzierung der Schuldenstreichung auf die Tagesordnung setzt? Sie sprechen darüber, den Kreditoren Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Wer bezahlt für die Schuldenstreichung? Wenn mir jemand was schuldet, streiche ich sie einfach. Ich habe Rückzahlungen und Zinsen erwartet, die sind dann verloren. Das sind die Konsequenzen.
Wenn die Schuldenstreichung jedoch finanziert wird, bedeutet das lange Verhandlungen zwischen den Regierungen, den Banken, der Weltbank und dem IWF. Sie sind auf der Suche nach Ressourcen, um die Schuldenstreichung zu finanzieren. Es geht um nichts anderes, als die finanziellen Möglichkeiten innnerhalb der Weltbank auszuloten und dort einen Weg zur Finanzierung der Schulden zu finden, die bisher nicht gezahlt werden konnten.

Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst auch im Norden an. Die Regierungen des Nordens sind ebenfalls verschuldet. Sie üben sich in strenger Haushaltsdisziplin und tragen ihre Sparmaßnahmen auf dem Rücken der Erwerbslosen, Flüchtlinge und Lohnabhängigen aus. Langsam beginnen auch dort Bewegungen wie die Europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit sich dieser Entwicklung entgegenzustellen. Sind sie für Jubilee South ein Bezugspunkt?
Wir wissen, dass die Kampagnen im Norden nicht alle wie die Erlassjahrkampagne funktionieren. Auch in Europa gibt es Kampagnen und Organisationen, deren Analysen der von Jubilee South ähneln. Man kann so viel auf der Basis der Solidarität machen. Aber wenn man wirklich Bewegung erzeugen will, muss man auch die Menschen erreichen, die ihre Probleme mit der Bevölkerung des Südens teilen. Wenn sie unseren Kampf auch als den ihren verstehen, der etwas mit ihrer Lebensrealität zu tun hat, dann ist das eine Basis für konkrete Solidarität. Genau das - und nicht eine Art "progressive" Attitüde - ist das Ziel. Die Solidarität muss aus eigenem Interesse entstehen, aus dem Bewusstsein, in einer ähnlichen Position zu sein.
Deshalb konzentrieren wir uns auf die aufstrebenden sozialen Bewegungen, die vor allem aus Frankreich, Deutschland, Italien und Belgien bekannt sind. In diesen Bewegungen sehen wir ähnliche Ansätze, wie wir sie bei Jubilee South haben. Sie wollen nicht die Subjekte der Sparpolitik sein. Das ist derselbe Kampf und eine Basis für Solidarität. Doch eine Gewerkschaftsbewegung in Europa, die keine Probleme mit der EU, der Einheitswährung und ihren Stabiltitätskriterien hat - auf sie können wir verzichten.
Die radikale und internationalistische Linke in Europa hat uns enttäuscht. Sie haben die Möglichkeiten der Jubilee-Kampagne überhaupt nicht begriffen. Anstatt sich hineinzubegeben und um Positionen zu kämpfen, sie zu radikalisieren, haben sie kritische Papiere geschrieben. Die Potenziale für einen antiimperialistischen Kampf haben sie überhaupt nicht gesehen. Es ist nicht nur nötig, Papiere zu schreiben. Es ist ebenso wichtig und notwendig, dass die radikale Linke sich in die Kampagne hineinbegibt. Das ist internationale Solidarität, die wir uns wünschen.
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