Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-
Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.25 vom 09.12.1999, Seite 12

Mexikos Linke und der Streik

Die politische Führung des Zentralen Streikrats (CGH - Consejo General de la Huelga) liegt in den Händen einer informellen Koalition sogenannter "Marxisten-Leninisten", die ihre Basis in der natur- und der politikwissenschaftlichen Fakultät haben. Dazu gehören Anhänger ultralinker Gruppierungen wie der Unión Revolucionario Emiliano Zapata, Frente Popular Francisco Villa oder Movimiento Proletario Independiente.
Anfang August begann eine andere Koalition von Organisationen der radikalen Linken Flugblätter zu verteilen, in denen zu einem Ende der Streiks per Verhandlungen und zur Fortsetzung des Kampfes mit anderen Mitteln aufgerufen wurde. Zu diesem Bündnis gehören trotzkistische Gruppen wie die Liga für sozialistische Einheit (LUS), die Revolutionäre Arbeiterpartei (PRT) und Juventud Socialista (JS - Sozialistische Jugend), die in ihren Reihen einen der bekanntesten Führer des Streiks zählt.
Im September brachen auch die Anhänger der prokubanischen Corriente en Lucha por el Socialismo mit den Ultralinken. Zusammen mit radikalen Kräften der PRD (Partei der demokratischen Revolution) gründeten all diese Gruppen den "demokratischen Sektor" des CGH.
Dies ergab das Szenario für die heftigen Auseinandersetzungen im CGH, die teilweise im Fernsehen zu sehen waren. Die dominierenden Gruppen, die eine unbegrenzte Fortsetzung des Streiks befürworten, nahmen dabei Zuflucht zu Mitteln wie das Schlagen und rhythmische Niederschreien ihrer Opponenten oder der unbegrenzten Verlängerung von Sitzungen.
Die systematischste Kritik des Verhaltens der CGH-Führung leistete Juventud Socialista, vielleicht weil sie länger als die meisten anderen "Dissidenten" gegenüber den Ultralinken loyal war. Juventud Socialista kritisiert deren stalinistische Methoden und ist der Auffassung, dass sie die Kluft zwischen einer aktivistischen "Vorhut" des Streiks und der Masse der Studierenden, die passiv sind und eine Wiederaufnahme ihres Studiums ersehnen, vergrößern.
Doch eine unbequeme Wahrheit müssen auch Gruppen wie Juventud Socialista anerkennen: Ob mit oder ohne undemokratische Methoden - die ultralinke Führung des CGH hat die Unterstützung tausender Studentinnen und Studenten. Dies ist nur erklärbar durch die Härte des Klassenkampfs in Mexiko, durch die riesige Kluft zwischen mehr als 90% der Bevölkerung, die arm sind, und einem winzigen Prozentsatz von Superreichen sowie durch das Ausmaß des dadurch hervorgerufenen Klassenhasses unter den Armen und Unterdrückten.
Der CGH kann die Studierenden immer noch zum Sieg führen, aber nur wenn er seine ultralinke Taktik aufgibt und [Universitätsrektor] Barnés keine Vorwände mehr liefert, nicht zu verhandeln. Eine Niederlage für die Studierenden wäre ein harter Schlag für alle, die gegen neoliberale Angriffe kämpfen, nicht zuletzt für die Elektrizitätsarbeiter, die gegen die Privatisierung kämpfen, und die Zapatisten in Chiapas. Beide Gruppen haben die Studierenden unterstützt.
Die militanten sozialistischen Kräfte in Mexiko müssen diese Ereignisse als Alarmsignal begreifen. Die Kräfte des revolutionären Sozialismus sind beträchtlich, jedoch in zahlreiche konkurrierende Gruppen gespalten - und viele dieser Gruppen werden von ultralinken, halbstalinistischen Ideologien beeinflusst. Nur eine umfassende ideologische und organisatorische Erneuerung der Kräfte des Marxismus kann eine adäquate politische Führung für den Kampf der Massen für eine Alternative zum Neoliberalismus hervorbringen.
Phil Hearse

Auszug aus: "Mexican Students‘ epic struggle in danger", Green Left Weekly, Nr.383, 3.11.1999.


Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04


zum Anfang