SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2002, Seite 20

Mord und Totschlag

Doris Gercke, Die schöne Mörderin, Berlin (Ullstein) 2002, 303 S., 7,97 Euro.

Die Produktion von Fernsehkrimis durch das ZDF ist eher eine müde Angelegenheit. Nur mit einer enormen zeitlichen Distanz erhalten die Serien einen schmierig-kultigen Charakter ("Harry, hol schon mal den Wagen").
Große Ausnahmen stellen allerdings die in letzter Zeit in Kooperation mit Arte gedrehten Reihen mit dem Kommissar Sperling, dargestellt von Dieter Pfaff, und der Kommissarin Bella Block, gespielt von Hannelore Hoger, dar.
Die Autorin der Romanvorlagen von Bella Block, Doris Gercke, ist allerdings nicht ganz glücklich mit der filmischen Umsetzung ihrer Geschichten, da ihnen der politische Inhalt genommen worden sei. Die Antwort aus der Anstalt des öffentlichen Rechts: Man müsse sich die Filme nur ansehen, dann merke man schon, wie politisch sie seien.
Der Schriftstellerin ist recht zu geben, und so klasse Hannelore Hoger auch die Rolle ausfüllt und wie weit diese Fernsehproduktionen auch über dem sonstigen Einheitsbrei steht, auf dem Bildschirm wird Gerckes "politisch Denken und Handeln" in Sozialkritik abgemildert.
In den Romanen ist Bella Block mittlerweile aus dem Polizeidienst ausgeschieden und nimmt hin und wieder Aufträge als Privatdetektivin an. Im gerade erschienen Taschenbuch Die schöne Mörderin versucht sie das Leben von Tolgonai zu retten, einer Turkmenin, deren Leben in Dschingis Khans Tochter vorgestellt worden ist.
Tolgonai, die sich auf der Flucht aus Odessa in Deutschland aufhält, verlässt das nicht mehr sichere Haus Bella Blocks, begibt sich auf eine Odyssee durch die Republik, gerät an geile Lkw-Fahrer, brutale Motorradgangs, seelisch verkrüppelte Wirtsleute und in das Fangnetz der Ausländerpolizei. Aber sie wehrt sich.
Bella Block sucht die junge Frau, denn eine Abschiebung würde deren Tod bedeuten. Gleichzeitig übernimmt sie den Auftrag, den verschwundenen Ehemann einer aufstrebenden Modemacherin auffindig zu machen und taucht in die Welt der Flüchtlinge und Obdachlosen ein. In einem Deutschland, in dem einen ein "Backpfeifengesicht" als hessischer Ministerpräsident aus der Zeitung angrinst, gehen die modernen Kettenhunde des Bundesgrenzschutz gnadenlos gegen Illegalisierte auf die Treibjagd, wechseln gegen Waffenschmuggler eingesetzte V-Männer die Seiten, werden unkorruppte Polizisten isoliert.
Das ist der politische Blick Bella Blocks, Tochter einer Kommunistin und Enkelin des russischen Dichters Alexander Bloks, in dem es nicht nur unschöne Zustände gibt, sondern Opfer und Täter und Täterstrukturen. Und diesen Strukturen ist weder durch Polizei- noch durch Sozialarbeit zu begegnen.
Dieser Blick und ihr ungebrochener Feminismus machen die Figur Bella Block so außergewöhnlich, ihre Suche nach menschlicher Nähe und Wärme so sympatisch. Und wenn Bella Block Tragelehns Gedichte liest, macht sie sich und uns Hoffungen:
"Brecht las bei Horaz, lese ich, dass selbst | Die Sintflut nicht ewig gedauert hat. | Und wieder werden die schwarzen Gewässer | verrinnen. | Und wieder werden wenige länger dauern."

Udo Bonn


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