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Im Duktus des Aufklärers und in perspektivischer Weite gibt der Münchner Historiker Detlef Bald dem Leser
kritische Einblicke in die Geschichte der Bundeswehr. Er bringt die zwei wesentlichen Voraussetzungen mit, um dieses Meisterwerk heutiger
Militärgeschichte zu verfassen: Er kennt obwohl er nie »gedient« hat die Bundeswehr aus der Nähe dank seiner
langjährigen Mitarbeit am Zentrum Innere Führung, an der Führungsakademie sowie am Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr;
auf der anderen Seite mangelt es ihm wahrlich nicht an kritischer Distanz. So wurde 1997 sein Lehrauftrag an der Universität der Bundeswehr in
Neubiberg nicht verlängert. Ein General verlangte dieses Opfer auf dem Altar des Vaterlandes; denn Detlef Bald hatte die restaurativen Tendenzen in der
Bundeswehr einer schonungslosen Kritik unterzogen.
Im ersten Kapitel »Begründung des Staates durch Macht«
(19491969) erhellt der Autor die Machtpolitik von Minister Franz Josef Strauß beim Aufbau der »neuen Wehrmacht«. Sein engster
Vertrauter in der Bundeswehr war Vier-Sterne-General Josef Kammhuber, der Inspekteur der Luftwaffe. Das war jener Kammhuber, der sich beim Hitler-
Ludendorff-Putsch am 9.November 1923 zusammen mit den späteren NS-Kriegsverbrechern Dietl und Le Suire geweigert hatte, die junge Republik zu
verteidigen. Doch Gefolgschaftstreue ob Ludendorff, Göring oder Strauß war stets die Leitlinie Kammhubers. Strauß
verlangte eine Schärfung des sicherheitspolitischen Denkens, um dem durch Atomwaffen »erzwungenen Wandel des Kriegsgedankens«
Rechnung zu tragen. Im Dezember 1961 drängte Strauß in Washington vergeblich darauf, eine Atombombe »against no target«
über der Ostsee oder über einem Truppenübungsplatz in der DDR abzufeuern. In der Spiegel-Affäre missachtete Strauß die
Grenzen der Rechtsstaatlichkeit; sein zügelloser Machtinstinkt ließ ihn straucheln.
Mitte der 60er Jahre wurde zur »demokratischen« Traditionsoffensive geblasen.
Kriegshelden der Wehrmacht und auch ehemalige NS-Kriegsverbrecher wie Dietl und Kübler wurden nun zu traditionswürdigen Kasernenpatronen
erkoren, da sie »nach Haltung und Leistung beispielhaft« gewirkt hatten. Statt von Kriegsverbrechen sprach man von »Schuld und
Verhängnis«.
Im zweiten Kapitel »Reform und Stabilisierung« (19691982) wird die
Entspannungspolitik dieser Ära geschildert. Der Autor über die brüchige Sinnstiftung der Bundeswehr: »Das Feindbild der Bedrohung
durch die Sowjetunion aufzugeben rührte an den Kern der Legitimität. Bedrohung aus dem Osten als Motivation zum Dienst in der ›neuen
Wehrmacht‹ hatte Tradition, die ideologisch den Kampf für die Freiheit des Abendlandes mit dem Drang des Ritterordens nach Osten
verklärte und mit der Tilgung der Schmach von Stalingrad vermengte.«
Zwei Wochen vor dem Ende der Regierung Schmidt unterzeichnete Minister Apel den bis
heute gültigen Traditionserlass: »In den Nationalsozialismus waren Streitkräfte teils schuldhaft verstrickt, teils wurden sie schuldlos
missbraucht. Ein Unrechtsregime, wie das Dritte Reich, kann Tradition nicht begründen.« Diese beiden Sätze lösten wütende
Proteste aus. Auch Wörner, der neue Chef auf der Hardthöhe, erblickte darin eine Beschmutzung des »Ehrenschilds der Wehrmacht«
und kündigte sogleich bei Amtsantritt an, er werde diese Richtlinien umgehend außer Kraft setzen. Im Hintergrund übernahm Kohl-Freund
Prof. Michael Stürmer die Beratung, indem er ein einheitliches Geschichtsbild für die Bundeswehr durchsetzen wollte. Stürmers
Revisionismus scheiterte; ein plurales Bild, das sich auf die Grundwerte bezog, behielt Orientierungswert.
In den friedensbewegten Zeiten der Nachrüstung traten auch einige couragierte
Offiziere an die Öffentlichkeit. Von der Initiative »Darmstädter Signal« wurde die Losung aufgegriffen: »Frieden schaffen mit
immer weniger Waffen«. Diese »Signaler« wurden vom Bannstrahl der Hardthöhe getroffen. Die militärische Führung
unterdrückte den notwendigen Diskurs durch Abschottung.
Das dritte Kapitel »Konservative Konsolidierung« (1982 2000) zeigt,
wie durch die angebliche »geistig-moralische Wende« auch das gebeutelte Selbstwertgefühl des Militärs durch eine Revision der
Traditions- und Geschichtspolitik Linderung erfahren sollte: »Die Schranken zur Wehrmacht wurden geöffnet. An den Gräbern gab man
Zeichen für den Kämpfermythos einer glorreichen Wehrmacht.« Bereits 1976 hatte der damalige CDU-Abgeordnete Wörner seinen
»hohen Respekt vor der herausragenden Tapferkeit und der vorbildlichen Haltung des Obersten Rudel im Zweiten Weltkrieg« bekundet. Rudel
freilich war der höchstdekorierte Soldat der Wehrmacht, Held der NS-Kriegspropaganda und bis zu seinem Tode ein treuer Gefolgsmann des
»Führers«.
Als am 3.Oktober 1990 die NVA restlos aufgelöst wurde, vertraten einige Offiziere der
Bundeswehr die Auffassung, ein Offizier der NVA habe »nie den gleichen Beruf ausgeübt« wie Offiziere anderer Nationen, denn
»geistig trennten uns Weltanschauungen und Welten«. Und so hatte Minister Eppelmann am 2.Oktober 1990 auf Geheiß der Hardthöhe
sämtliche 299 Traditionsnamen der NVA getilgt; mit diesem Federstrich wurde auch die Traditionswürdigkeit von Wilhelm Leuschner und Rudolf
Breitscheidt ausgelöscht. Als »neue Wehrmacht« hat die Bundeswehr die Bande zur alten Wehrmacht nie gänzlich gekappt, doch
für die NVA, die nie einen rassistisch motivierten Raub- und Vernichtungskrieg führte, gilt: »Unstrittig ist jedoch, dass die aufgelöste
NVA keine Tradition für die Bundeswehr stiften kann.«
Im letzten Kapitel werden »Militärpolitische Perspektiven« entfaltet:
»Das neue Zeitalter der Bundeswehr begann noch im alten Jahrhundert. Am 24.März 1999 waren groß angelegte Luftangriffe der NATO
gegen Serbien der Auftakt zum letzten Krieg des 20.Jahrhunderts in Europa.« Der neue Leitbegriff lautet »Transformation«. Und eine
Geschichtspolitik, die gewollt die schuldhaften Verstrickungen der Wehrmacht verdrängt und ihre soldatischen Leistungen verklärt, trägt
Früchte. Nur im genuinen militärischen Milieu kann es von Coesfeld bis nach Kempten zu drakonischen Schindereien kommen.
Das unbedingt lesenswerte Buch endet mit der Klage: »Die Herausforderung ist eine
neue Kultur des Friedens und der Sicherheit.«
Jakob Knab
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