Kolumne • Der Sozialismus kommt... / Thies Gleiss
Kolumne
SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2006, Seite 04

Kolumne

Der Sozialismus kommt...

...ob er aber über Oberammergau oder aber über Unterammergau oder aber überhaupt noch kommt, ist nicht gewiss. Zumindest schleicht er sich langsam, aber stetig in den politischen Diskurs dieser Republik zurück. Natürlich überwiegen noch die Angstpsychosen der herrschenden Klasse und ihrer Hosenscheißer, wenn das Wort Sozialismus fällt.
Wir haben an dieser Stelle regelmäßig solche Warnungen vor dem Sozialismus aufgegriffen, zuletzt den kürzlich zurückgetretenen Ex-Innensenator aus Hamburg, Roger Kusch, der befürchtete, Angela Merkel würde in Deutschland den Sozialismus einführen. Das ist schon fast der Punkt, wo Angst in ein komplett eigenes Weltbild umschlägt, den Bezug zur Realität verliert und somit auch nicht mehr Angst, sondern pralle Bestätigung ist.
Die unübertreffliche Bild-Zeitung hat für solcherart Kranke jetzt wieder die Apothekenrundschau gespielt: "Deutschland sozialistischer als China!" titelte sie am 15.September. Warum fällt uns gerade jetzt der Priester ein, der Zeitungsberichten zufolge vor einigen Tagen versuchte, den Fluss Komo nahe der Hauptstadt Gabuns, Libreville, zu überqueren? Er hatte seinen pfingstkirchlichen Anhängern ein Wunder versprochen und wollte das ziemlich raue Gewässer überschreiten, ohne zu versinken. Es ist ihm nicht gelungen, weil er kurz vor Vollendung des Wunders ertrank und seine Jünger in Angst und Schrecken zurückließ.
Im Vergleich dazu sind die Bemühungen der neuen linken Parteigründungsbewegung, sich ein realitätstüchtiges Programm zu geben, ein wenig weiter, sie sucht immerhin schon nach den Steinen, um heil über das Gewässer zu kommen. So hat sich nach sechsundzwanzig Monaten Existenz, nach NRW-Landtagswahl, Bundestagswahl und Fusionsprojekt von WASG und Linkspartei das programmatische Profil von "linker Schill-Partei", über "Sozialstaatspartei" und "antineoliberaler Partei" immerhin zu einem deutlichen Bekenntnis zum "demokratischen Sozialismus" entwickelt. Das lag wahrscheinlich weniger an der missionarischen Aufklärungsarbeit der "Sozialistischen Alternative" oder an der unermüdlichen Veröffentlichung von praktischen Sozialismusrezepten in der Zeitschrift Sozialismus und schon gar nicht an der Gründung der Fraktion der Betamännchen unter dem Namen "Sozialistische Linke" in der WASG, sondern ist ein schlichter Reflex auf die gestärkte Politikfähigkeit der Linken.
Wer eine wirkliche Alternative zum herrschenden Politikmodell haben möchte, wird an den alten Notenblättern des Sozialismus nicht vorbeikommen. Neue Anschläge sind sicherlich nötig, aber die Noten werden die gleichen sein, damit den herrschenden Verhältnissen ihre eigene Melodie vorgespielt werden kann, um sie zum Tanzen zu bringen. Andernfalls wird es der Linken wie Tetsu Tanaka ergehen. Er war Angestellter einer großen Elektronikfirma in Japan und wurde am 29.Juni 1981 entlassen. Seit diesem Tag steht Tetsu Tanaka jeden Morgen um acht Uhr am Firmentor und singt aus Protest gegen die Entlassung Friedenslieder, wobei seine Forderung nur eine "Entschuldigung der Firmenleitung" sein soll.
Dass der Sozialismus nicht herbei gesungen werden kann, ist vielen schnell einsichtig. Angesichts der ganz aktuellen Debatte um die Art der Verschmelzung von WASG und PDS/Linkspartei und den besten Weg, die Millionen Staatsknete in die Zukunft zu sichern, muss aber auch daran erinnert werden, dass er nicht erkauft werden kann. Das kann jetzt auch die Vorhutpartei der "proletarischen Denkweise", die MLPD, bezeugen. Sie hat eine 2,5-Millionen-Euro- Spende eines ihrer Anhänger zum Kauf einer weiteren Immobilie in Gelsenkirchen-Horst benutzt, um ihr Imperium "Dienstleistungszentrum Horster Mitte" zu erweitern. In dem Haus gibt es nur einen Mieter, nämlich die örtliche Polizeiwache. Der bewaffnete Arm der herrschenden Klasse zur Untermiete in der Partei der sozialistischen Revolution — so schön kann das Leben sein. Jetzt wollen die Bullen so schnell weg, wie sie können.
Dass praktische Konfrontation mit dem Gegner manchmal zu schnellen Erkenntnissen führt, bezeugte jetzt auch George W. Bush. In einem Gespräch mit der unübertrefflichen Bild-Zeitung sagte er "Ich habe langsam begriffen, dass es in der Natur der deutschen Bevölkerung liegt, dass sie Krieg verabscheut."
Wir finden sogar, dass es dieser Natur entspricht, möglichst schnell den Sozialismus aufzubauen.

Thies Gleiss

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