SoZ - Sozialistische Zeitung |
...ob er aber über Oberammergau oder aber über Unterammergau oder aber überhaupt noch kommt,
ist nicht gewiss. Zumindest schleicht er sich langsam, aber stetig in den politischen Diskurs dieser
Republik zurück. Natürlich überwiegen noch die Angstpsychosen der herrschenden Klasse und
ihrer Hosenscheißer, wenn das Wort Sozialismus fällt.
Wir haben an dieser Stelle
regelmäßig solche Warnungen vor dem Sozialismus aufgegriffen, zuletzt den kürzlich
zurückgetretenen Ex-Innensenator aus Hamburg, Roger Kusch, der befürchtete, Angela Merkel
würde in Deutschland den Sozialismus einführen. Das ist schon fast der Punkt, wo Angst in ein
komplett eigenes Weltbild umschlägt, den Bezug zur Realität verliert und somit auch nicht mehr
Angst, sondern pralle Bestätigung ist.
Die unübertreffliche Bild-Zeitung hat
für solcherart Kranke jetzt wieder die Apothekenrundschau gespielt: "Deutschland sozialistischer
als China!" titelte sie am 15.September. Warum fällt uns gerade jetzt der Priester ein, der
Zeitungsberichten zufolge vor einigen Tagen versuchte, den Fluss Komo nahe der Hauptstadt Gabuns,
Libreville, zu überqueren? Er hatte seinen pfingstkirchlichen Anhängern ein Wunder versprochen
und wollte das ziemlich raue Gewässer überschreiten, ohne zu versinken. Es ist ihm nicht
gelungen, weil er kurz vor Vollendung des Wunders ertrank und seine Jünger in Angst und Schrecken
zurückließ.
Im Vergleich dazu sind die Bemühungen
der neuen linken Parteigründungsbewegung, sich ein realitätstüchtiges Programm zu geben, ein
wenig weiter, sie sucht immerhin schon nach den Steinen, um heil über das Gewässer zu kommen. So
hat sich nach sechsundzwanzig Monaten Existenz, nach NRW-Landtagswahl, Bundestagswahl und Fusionsprojekt
von WASG und Linkspartei das programmatische Profil von "linker Schill-Partei", über
"Sozialstaatspartei" und "antineoliberaler Partei" immerhin zu einem deutlichen
Bekenntnis zum "demokratischen Sozialismus" entwickelt. Das lag wahrscheinlich weniger an der
missionarischen Aufklärungsarbeit der "Sozialistischen Alternative" oder an der
unermüdlichen Veröffentlichung von praktischen Sozialismusrezepten in der Zeitschrift Sozialismus
und schon gar nicht an der Gründung der Fraktion der Betamännchen unter dem Namen
"Sozialistische Linke" in der WASG, sondern ist ein schlichter Reflex auf die gestärkte
Politikfähigkeit der Linken.
Wer eine wirkliche Alternative zum
herrschenden Politikmodell haben möchte, wird an den alten Notenblättern des Sozialismus nicht
vorbeikommen. Neue Anschläge sind sicherlich nötig, aber die Noten werden die gleichen sein,
damit den herrschenden Verhältnissen ihre eigene Melodie vorgespielt werden kann, um sie zum Tanzen zu
bringen. Andernfalls wird es der Linken wie Tetsu Tanaka ergehen. Er war Angestellter einer großen
Elektronikfirma in Japan und wurde am 29.Juni 1981 entlassen. Seit diesem Tag steht Tetsu Tanaka jeden
Morgen um acht Uhr am Firmentor und singt aus Protest gegen die Entlassung Friedenslieder, wobei seine
Forderung nur eine "Entschuldigung der Firmenleitung" sein soll.
Dass der Sozialismus nicht herbei gesungen
werden kann, ist vielen schnell einsichtig. Angesichts der ganz aktuellen Debatte um die Art der
Verschmelzung von WASG und PDS/Linkspartei und den besten Weg, die Millionen Staatsknete in die Zukunft zu
sichern, muss aber auch daran erinnert werden, dass er nicht erkauft werden kann. Das kann jetzt auch die
Vorhutpartei der "proletarischen Denkweise", die MLPD, bezeugen. Sie hat eine 2,5-Millionen-Euro-
Spende eines ihrer Anhänger zum Kauf einer weiteren Immobilie in Gelsenkirchen-Horst benutzt, um ihr
Imperium "Dienstleistungszentrum Horster Mitte" zu erweitern. In dem Haus gibt es nur einen
Mieter, nämlich die örtliche Polizeiwache. Der bewaffnete Arm der herrschenden Klasse zur
Untermiete in der Partei der sozialistischen Revolution so schön kann das Leben sein. Jetzt
wollen die Bullen so schnell weg, wie sie können.
Dass praktische Konfrontation mit dem
Gegner manchmal zu schnellen Erkenntnissen führt, bezeugte jetzt auch George W. Bush. In einem
Gespräch mit der unübertrefflichen Bild-Zeitung sagte er "Ich habe langsam begriffen, dass
es in der Natur der deutschen Bevölkerung liegt, dass sie Krieg verabscheut."
Wir finden sogar, dass es dieser Natur
entspricht, möglichst schnell den Sozialismus aufzubauen.
Thies Gleiss
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