SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2003, Seite 4

Ver.di streitet um Gesundheitspolitik

Tollpatschiges Werben

von TOBIAS MICHEL

Fast wäre es der Beginn einer neuen "Streitkultur" in der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di geworden. Am 15.April reisten etwa 15 kritische Kolleginnen und Kollegen aus Stuttgart, Karlsruhe, Mannheim und Essen zur Hans-Böckler- Stiftung nach Düsseldorf, um dort auf Einladung des Projektbeirats der Ver.di-Gesundheitskampagne über die Aufstellung gegen die "rot-grünen" Rosskuren zu streiten. Ausgangspunkt war eine Neupositionierung der gewerkschaftlichen Gesundheitspolitik im vergangenen Herbst unter Federführung von Prof.Lauterbach. Die Expertengruppe erarbeitete eine Broschüre mit dem Titel: "Qualität und Effizienz", die versucht, sich neoliberale Muster unter gewerkschaftlichen Vorzeichen anzueignen: "Ein Wettbewerb um Qualität anstelle ökonomischer Konkurrenz soll das Gesundheitswesen von morgen prägen."
Die ausdrückliche Aufforderung zur Auseinandersetzung mit der sog. "Streitschrift" nahm die Mitgliedschaft wörtlich. In einer scharfen Kritik wiesen die Stuttgarter Böhm, Mörbe und Riexinger facettenreich nach, "dass umgekehrt Qualität gegen Wettbewerb durchgesetzt werden muss". Binnen weniger Wochen unterzeichneten über 60 Kolleginnen und Kollegen — Personalräte, ehrenamtliche Vorstände und Sekretäre — den Stuttgarter Text. In mehreren Landesbezirken wuchs das Interesse am Widerspruch. Doch das allein hätte nicht genügt, eine beidseitige innergewerkschaftliche Wahrnehmung zu erzwingen.
Erst der offenkundige Wortbruch der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt löste die notwendige Verunsicherung im Ver.di-Bunker am Potsdamer Platz aus. Sie schlug auf Geheiß ihres Kanzlers alle Wahlversprechungen in den Wind und droht mit dem verschärften Wettbewerb der Kassen, mit Eintrittsgeldern, erhöhten Zuzahlungen und vor allem mit dem Bruch der paritätischen Finanzierung. Im Berlin der kurzen Wege wurden die fieberhaften Lobbyarbeiter der Gewerkschaft unvermittelt auf Kurzarbeit gesetzt. Kalt erwischt, müht sich die Ver.di-Führung nun um kurzatmige Mobilisierungen. Fast aus dem Stand heraus ruft sie zum 17.Mai nach Berlin auf unter der abenteuerlich anmutenden Losung: "Für eine mutige Reform!"
Können bei solch einem Schwenk die Kritiker wieder eingesammelt werden? Trotz zahlreicher Gemeinsamkeiten zeigte die etwa zweistündige Debatte in Düsseldorf, dass die Gewerkschaftslinken im neuen Kurs eher ein Hindernis erkennen. Insbesondere die offiziellen Ver.di-Vorschläge, mit 35 Milliarden Euro Einsparungen und Umfinanzierungen die Beitragssätze wie vom Kanzler angepeilt auf 13% zu senken, verurteilte sie als Einknicken vor der Lohnnebenkostenlüge. Wenn nicht einmal die unsoziale Unterversorgung im Gesundheitssystem und die vernachlässigte Prävention beziffert werden, werden selbst gut gemeinte Sparvorschläge missverständlich zum Schulterschluss mit der Regierung des Sozialabbaus.
So richtig ernst war das Dialogangebot der Ver.di-Zentrale auch gar nicht gemeint — jedenfalls nicht auf gleicher Augenhöhe. Die maßgeblichen Autoren Bsirske und Lauterbach, das verantwortliche Bundesvorstandsmitglied Eggert und die allermeisten Professoren hatten sich zumindest für diesen Tagesordnungspunkt entschuldigen lassen und trafen zum Teil pünktlich kurz hinterher ein. So war unter dem Strich wichtiger, dass die ernüchtert abreisenden Linken rasch noch Verabredungen für eine schrittweise Eskalationsstrategie treffen konnten — um während der drohenden 1.Lesung der Reformgesetze am 22.Mai breite Aufklärungsaktionen zu initiieren.

Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04